Drachenblut 1 - Kreuzungen | textBLOXX
Die Dörfer waren größer und bevölkerter. Das ungewisseste Hindernis auf den Weg zur Grenze war aber eine Stadt. Jonass Weg streifte die Stadt an ihrer südwestlichen Flanke. Sie weiträumig zu umgehen, kostete Zeit. Zeit, so befürchtete Jonas, die er vermutlich nicht mehr hatte. Jede Minute, die er sich noch im Königreich aufhielt, erhöhte die Gefahr verhaftet zu werden.
Jonas schob den Gedanken an dieses Problem beiseite. Es waren noch zweieinhalb Stunden bis zum Sonnenaufgang. Diese Zeit musste genutzt werden. Jonas zögerte für eine Sekunde, als er überlegte ob er als Elb oder Wolf weiterlaufen sollte, und entschied sich für seine Wolfsform. Als Wolf war er deutlich schneller als als Elb.
Zwei Stunden später war er ein gutes Stück voran gekommen. Die ersten Ausläufer der Stadt fraßen sich in die Landschaft. Damit wuchs aber auch die Gefahr entdeckt zu werden. Jonas sah sich um und entdeckte ein kleines Wäldchen, dass ihm als Unterschlupf geeignet erschien. Der dichte, alte und verwachsene Baumbestand schien ihm bestens geeignet, vor unerwünschten Blicken geschützt zu sein. Je tiefer Jonas in den Wald eindrang, desto verwilderter wurde er. Nur ein Elb konnte sich durch das Gewimmel von Ästen, Flechten und Wurzeln hindurchkämpfen. Erst als selbst für Jonas das Dickicht undurchdringlich wurde, kletterte er auf einen Baum und suchte sich eine geschützte Astgabel und schlief dort friedlich ein.
***
Als Jonas wieder erwachte, war es zu seiner großen Überraschung noch helligter Tag.
»Ich bin mir sicher, dass er in diesen Wald gelaufen ist!«, schallte eine aufgeregte Stimme von unten hoch.
»Ein Wolf?«, erklang eine andere Stimme, mit sehr skeptischen Unterton. Der Sprecher schien gegenüber der Behauptung seines Vorredners größte Vorbehalte zu hegen, »Der letzten Wolf wurde vor 70 Jahren erschossen. Du hast vielleicht einen großen Hund gesehen.«
»Nein, es war ein Wolf!«, beharrte die erste Stimme, »Ich weiß doch, wie ein Hund aussieht!«
»Und bitteschön, wo soll dieser Wolf hergekommen sein? Ganz Goldor ist kultiviertes Land. Wo sollten sich da Wölfe ansiedeln?«, entgegnete die zweite Stimme weiterhin überhaus skeptisch.
»Vielleicht kommt er aus dem Elbenreservat.«, gab die erste Stimme zu bedenken, »Wer weiß schon, was diese Typen dort alles treiben.«
Die zweite Stimme sagte erstmal nichts. Jonas lauschte auf seinem Baum, was sich unter ihm tat. Er hörte Schritte und das Rascheln von herabgefallenen Blättern. Das dichte Blattwerk des Baumes verhinderte, dass man Jonas entdecken konnte, besaß aber auch den Nachteil, daß Jonas umgekehrt nicht sehen konnte, was sich unterhalb seines Verstecks abspielte. Angestrengt lauschend versuchte er sich ein Bild davon zu machen, was die beiden Stimmen wohl trieben. Er hörte sie rascheln. Trocknes, herabgefallenes Astwerk knackte unter ihren Füßen. Buschwerk wurde zur Seite bewegt.
»Hm!«, ließ sich plötzlich die zweite, skeptische Stimme nachdenklich verlauten. Sie drang direkt von Unterhalb des Baumes zu Jonas hinauf:»Ich glaube, du hast etwas gesehen, aber...«
»Was?«, rief die erste Stimme und kam angehechtet.
»Hier!«, meinte die zweite Stimme ernst, »Ich glaube kaum, dass ein Wolf soetwas mit sich rumträgt.«
»Eine Spange!«, rief die erste Stimme erstaunt aus.
Jonas schoß das Blut ins Gesicht. Ihm wurde heiß. Ein böse Ahnung überkam ihn. Panisch griff er nach seinem Rucksack. Seine Ahnung bestätigte sich. Einer der Schließen seines Rucksacks war abgerissen, vermutlich, als er sich durch das dichte und widerspenstige Unterholz gezwängt hatte.
»Eine silberne Schließe, eine Fibel. Der Machart zu urteilen ist sie elbischen Ursprungs. Schau dir nur die feinen getriebenen Linien auf der Obefläche an. Ein echtes Kunstwerk.«, meinte die zweite Stimme. Von Skepsis war nichts mehr zu hören. Ganz im Gegenteil, meinte Jonas eine konzentrierte Wachsamkeit aus der Stimme heraushören zu können.
»Ist sie wertvoll?«, fragte die erste Stimme mit unverhohlener Gier.
»Wertvoll?«, knurrte der andere Sprecher, »Ja und nein. Die Fibel ist alt, sehr alt. Dies ist nicht der übliche pseudoauthentische Schund, den man im Reservat als Andenken kaufen kann. Dies ist echtes elbisches Kunsthandwerk, so um die 200 Jahre alt. So etwas sieht man sonst nur im Museum, oder aber...«
Der Sprecher ließ seinen letzten Gedanken unausgesprochen. Dafür meldete sich die erste Stimme wieder. Jonas mußte, trotz seiner
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