Drachenblut
gegeben. Wie viele Menschen sind erkrankt?«
Windblüte zuckte schwach die Achseln. »Da kann ich nur raten. Vielleicht doppelt so viele.«
»Und jetzt isst du das!«, befahl Pierre und gab ihr ein Brötchen. »Das bedeutet, dass auf dreihundert Patienten ein Arzt kommt.«
Windblüte nickte. »Jetzt verstehst du sicher, warum ich nicht bleiben kann.«
»Du musst dich ausruhen!«, beharrte Pierre und hob beide Hände, als sie sich anschickte aufzustehen. »Iss, trink, und dann sehen wir weiter. Was macht eigentlich Paul â ach ja! Er ist auch krank. Wer hat jetzt die Verantwortung?«
»Ich glaube, die Leitung obliegt jetzt mir«, erwiderte Windblüte sachlich. »Paul Nietro starb vor zwei Tagen, und als ich Bay Harkenon das letzte Mal sah, lag er krank im Bett. Die Drachenreiter sind nicht gefährdet.«
»Ein Segen!«, entgegnete Pierre mit Inbrunst. »Und nun iss bitte das Brötchen.«
Als Windblüte einsah, dass Pierre sie nicht eher gehen lassen würde, der in gebieterischer Haltung vor ihr stand und strengen Blickes auf sie herabsah, wollte Windblüte das Brötchen hastig verschlingen.
»Non, sâil vous plaît!«, protestierte Pierre. »Mit der Zubereitung des Essens habe ich viel Zeit verbracht, und jetzt wirst du dir die gebührende Zeit nehmen und in Ruhe essen. Ich bestehe darauf!«
SchlieÃlich verzehrte sie zwei Brötchen und trank noch ein Glas Fruchtsaft, ehe Pierre sich dazu erweichen lieÃ, sie gehen zu lassen.
Als sie zum dritten Mal in der Nacht zurückkam, nahm Pierre sie bereits an der Tür in Empfang.
»Sie ist tot«, sagte er mit tonloser Stimme. »Vor wenigen Minuten hörte ihr Herz auf zu schlagen. Sie hatte mich gebeten, keine Wiederbelebungsversuche zu unternehmen.« Er wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich wollte dich gerade holen. Wohin soll ihr Leichnam gebracht werden?«
Innerlich wie betäubt, drängte sich Windblüte an ihm vorbei ins Zimmer. Sie blickte Emily an, dann setzte sie sich auf den Stuhl neben dem Bett und senkte den Kopf.
Nach einer Weile fing sie an zu sprechen. »Als ich Emily kennen lernte, war sie die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Wenn sie einen Raum betrat, schien es gleich heller zu werden, sie verströmte Zuversicht und
Mut. Sie schaffte es, den Menschen selbst in aussichtslosen Situationen Hoffnung zu vermitteln. Nicht einmal als sie damit rechnen musste, dass ihre Welt total zerstört werden würde, verlor sie die Ruhe.«
Nach einer Pause, in der sie tief Luft schöpfte, fuhr sie sinnend fort: »Als die Nathi Tau Ceti Tag und Nacht bombardierten, hielt die Gouverneurin Emily Boll die Moral der Bürger aufrecht. Sie war stets präsent, durch nichts zu erschüttern, sie lieà sich weder einschüchtern noch aufhalten, sie kannte keine Müdigkeit und keinen Kräfteverschleiàâ¦Â«
»Davon hatte ich gehört«, fiel Pierre ihr ins Wort. »Aber noch nie zuvor hat jemand es mir so ausführlich erzählt.«
»Damals war ich noch ein junges Mädchen«, redete Windblüte weiter. »Meine Mutter war häufig fort, ich konnte sie nicht erreichen. Wenn ich Kitti Ping sah, dann nur, um von ihr unterrichtet zu werden â und mich von ihr maÃregeln zu lassen.« Sie seufzte. »Die Gouveneurin Boll hingegen nahm sich die Zeit, um mich aufzumuntern. Selbst als ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden, fand sie immer noch eine Gelegenheit, um mit mir zu reden.«
»Das wusste ich nicht«, gab Pierre zu.
»Ich habe es auch keinem erzählt«, erwiderte Windblüte. »Meine Mutter wäre auÃer sich gewesen vor Zorn, hätte ich jemandem gesagt, dass ich mich von ihr vernachlässigt und schlecht behandelt fühlte. Ich sagte es nicht einmal Emily, weil ich mich schämte.«
Pierre nickte. »Jetzt ist Emily nicht mehr da. Und unsere Verpflichtung ist es, ihr Werk fortzusetzen.«
»Richtig«, stimmte Windblüte zu und stand auf. »Kannst du Emily tragen?«
»Ich glaube schon. Wohin soll ich sie bringen?«
»Drüben beim College gibt es eine behelfsmäÃige Leichenhalle.«
Pierre blickte nachdenklich auf Emilys Leichnam hinab. »Ich schaffe es. Und was passiert dann?«
Windblüte schürzte die Lippen. »Die Labortechniker â beide Teams â sind völlig überfordert. Ich
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