Drachenblut
Tempeln gelesen, die es in der Fremde zu bestaunen gab. Allzu gerne hätte sie einmal mit eigenen Augen die Berge und Täler auf der anderen Seite der Erde gesehen und die Menschen und Tiere, die dort lebten.
Die anderen Kinder wollten nicht mit dem kleinen Mädchen spielen, obwohl sie einen neuen Ball hatte. Den konnte sie auf und nieder hüpfen lassen und auf der Fingerspitze balancieren, dass einem dabei ganz schwindlig wurde. Die anderen fanden nichts dabei und hatten für einen solchen Mädchenkram nichts übrig. So beschloss das Mädchen die Stadt zu verlassen und auf der Suche nach gefährlichen Abenteuern hinauf in die Wälder zu ziehen.
Unterwegs gab es allerlei zu entdecken. In einem kleinen Bach lagen rund geschliffene Kieselsteine, die im Wasser wie Juwelen glitzerten. Das Mädchen füllte die Taschen ihres Kleides mit den kostbaren Schätzen. Einst würde sie einen Prinzen damit reich beschenken.
Die roten Wanderameisen hatten unter einem Felsvorsprung einen stattlichen Ameisenhaufen errichtet. Eine Weile lang beobachtete das Mädchen das geschäftige Treiben des Insektenstaates. Dann brachte sie mit einem Stock gehörige Aufregung in den Ameisenhaufen und zertrat so viele der ausschwärmenden Tiere, wie sie nur konnte. Da war noch eine alte Rechnung offen.
Ein alter Pflug, der wie das Skelett eines Drachen aussah, verrostete am Rande eines Feldes. Das Mädchen turnte geschickt auf dem Pflug umher und überlegte sich dabei, wie das Monster wohl einst ausgesehen haben mochte. Es war ein relativ kleiner Drachen, der hier lag, vielleicht ein Drachenbaby, das von seinen Eltern weggelaufen war und nicht mehr nach Hause gefunden hatte. Bestimmt hatte das Ungeheuer lange spitze Krallen gehabt und konnte mächtig Feuer spucken. Ob es hier noch andere Drachen gab? Ein leichtes Kribbeln lief ihr bei dem Gedanken über den Rücken. Zur Sicherheit versetzte das tapfere Mädchen dem Pflug mit ihrem Stock noch einen Todesstoß zwischen die stählernen Rippen, und das Ungeheuer war endgültig besiegt.
Gleich neben dem Pflug war eine große Pfütze, die seit dem letzten Gewitterregen der Glut der Sonne trotzte. Als das Mädchen in die Pfütze schaute, da starrte ihre Freundin, die Schaufensterpuppe, zurück. Das kleine Mädchen erschrak, wie ähnlich ihr die Freundin in den letzten Wochen geworden war. Ihr Haupt war bleich und kahl, die Wangen waren eingefallen, und mit ihren großen Augen schaute sie traurig aus dem Wasser heraus, als riefe sie um Hilfe. Schnell warf das kleine Mädchen einen Stein in die Pfütze und zerbrach das Spiegelbild. Sie wartete noch ein wenig, bis sich die Wellen wieder beruhigt hatten, und watete zuletzt noch mit ihren Füßen im Wasser herum, dadurch würde sie unverwundbar werden.
Unten im Tal musste die Sonne bald untergehen, und es wurde Zeit, dass sie sich auf den Heimweg machte. Das kleine Mädchen ließ ihren Ball auf dem Zeigefinger kreiseln und stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn sie so die ganze Welt auf ihrem Finger tanzen lassen könnte. Nach einiger Zeit verlor die Erde ihren Schwung und geriet ins Trudeln. Das Mädchen versuchte noch den Planeten aufzufangen, aber er entglitt doch ihren zierlichen Händen und fiel zu Boden. Der Ball hüpfte mehrmals auf und rollte ein Stück den Weg entlang, wo er im angrenzenden Gebüsch verschwand. Ausgelassen rannte das kleine Mädchen ihrem Spielzeug hinterher. Sie bahnte sich einen Weg durch die dornigen Ranken, und es dauerte nicht lange, da hatte das Mädchen den Ball wieder entdeckt. Sie bückte sich danach, und als sie sich wieder aufrichtete, stand sie vor einer mächtigen Mauer, die aus großen schweren Ziegelsteinen gebaut war, wie sie nur Riesen tragen konnten.
Die Mauer musste Tausende von Jahren alt sein, etwas Ähnliches hatte das kleine Mädchen noch nie gesehen. Die Mauer war ungefähr dreimal so hoch wie sie selbst. Majestätisch erhoben sich die Zinnen in den Himmel. Hier und da waren große Stücke aus der Mauer gebrochen. Wind und Regen hatten dem Mauerwerk in all den Jahren zugesetzt und ihre Spuren hinterlassen. Eine Eidechse wärmte sich auf den verwitterten Steinen und lauerte zwischen den Schlingpflanzen auf Beute.
Als sich das Erstaunen des kleinen Mädchens wieder gelegt hatte, warf sie ihren Ball gegen die Mauer und fing ihn wieder auf. Die Eidechse huschte eiligst davon und verschwand in einem Spalt. Erneut warf das Mädchen den Ball gegen die
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