Drachenblut
Gesprächspartners die Hand zu einer Faust. »Meine Kunst entsteht mit der Kraft des Geistes und des Körpers, verstehen Sie? Ist es nicht dieser Geist (Arthur tippte sich nochmals an die Stirn), der die Kunst bedingt, und ist es nicht dieser Körper (Arthur ballte seine Faust), der zum Werkzeug meines Geistes wird?« Endlich deutete Arthur auf sein Bild und machte damit unmissverständlich deutlich, worauf er seine Rede bezog.
Der Leiter der Akademie ließ sofort das Papierknäuel fallen, als sei es ein heißer Stein, und beeilte sich, mit gezielten Kommentaren zu beweisen, dass er schon immer von nichts anderem als von Arthurs Bild gesprochen hatte. »Ihr Bild, hat es denn auch einen Titel, ihr Bild hier?«
»Es sind die Spieler.«
»Wo? Wer?« Der Leiter der Akademie sah sich um.
»Na, die beiden hier, die Schachspieler.«
Der Leiter der Akademie schaute wieder auf das Bild, konnte aber nur zwei große Quadrate erkennen, ein weißes und ein schwarzes, die nebeneinander lagen, und quer über die beiden Quadrate war eine mathematische Formel geschrieben, die sehr kompliziert und daher wichtig aussah. »Ich fürchte, da müssen Sie mir schon ein wenig behilflich sein. Gute Kunst will ja immer ein wenig interpretiert sein, nicht wahr?« schmeichelte er Arthur, um von seiner Hilflosigkeit angesichts des Bildes abzulenken.
»Machen Sie sich nichts daraus, mein Werk stellt zweifellos etwas höhere Anforderungen an den Betrachter, aber ich will Ihnen gerne Nachhilfe geben. Man kann ja immer etwas dazulernen, nicht wahr?«
Der Leiter der Akademie verspürte den dringenden Wunsch, Arthur das Bild über den Schädel zu ziehen, aber er biss sich auf die Zunge und nahm sich vor, mit diesem dahergelaufenen Fatzke später abzurechnen. »Bitte sehr, wenn Sie so freundlich sein würden …«
»Also, was Sie hier vor sich haben, das entspricht der Idee von der analytischen Reduktion eines Schachspieles auf eine neurophysiologische Funktion innerhalb eines nicht notwendigerweise humanen Bewusstseins.«
»Mon Dieu, was Sie nicht sagen! Das klingt ja außerordentlich interessant.« So einen Schwachsinn hatte der Leiter der Akademie schon lange nicht mehr gehört. »Aber bitte, fahren Sie doch fort. Das müssen Sie mir näher erklären.«
Arthur nahm das Interesse seines Gesprächspartners erfreut zur Kenntnis. Er hätte sich aber auch ohne dessen Heuchelei nicht mehr davon abhalten lassen, eine seiner gefürchteten Thesen zur Kunst darzulegen. »Stellen Sie sich nur einmal zwei Personen vor, die sich an einem kleinen Tischchen gegenübersitzen und eine Partie Schach austragen.«
Der Leiter der Akademie legte seine Stirn in Falten und zog seine Augenbrauen zusammen, bis sich deren Enden hoch über der Nasenwurzel beinahe berührten. Arthur hielt inne und gab ihm Zeit, die Gesichtsmuskulatur zu arrangieren. »Darf ich fortfahren?«
»Bitte, bitte.«
»Nun, nehmen Sie also weiterhin an, wir hätten es mit zwei ausgesprochen talentierten Schachspielern zu tun, die aufgrund ihrer enormen Konzentrationsfähigkeit in der Lage wären, ein komplettes Schachspiel in Gedanken durchzuspielen. Das Spiel liefe völlig immateriell, ausschließlich in den Köpfen der beiden Gegner ab.«
»Aber Sie können doch jetzt nicht mehr von einem Schachspiel sprechen, jetzt, wo keine dieser hübschen Figuren mehr da ist.« Mit dem Verschwinden der Schachfiguren sah der Leiter der Akademie auch die Krücken verschwinden, an denen er bis hierher Arthurs Ausführungen gedanklich nachvollzogen hatte.
»Warum nicht? Das Spiel ist dennoch weiterhin möglich, konform der Regeln und im Sinne der Spielidee.«
»Es soll aber auch Affen geben, die Schach spielen können«, wagte der Leiter der Akademie einzuwenden. »Ich las kürzlich von einer Studie über tierische Intelligenz, die ganz erstaunliche Tatsachen zum Vorschein brachte. Da war ein Papagei, der konnte zum Beispiel auf einem Bein stehen und gleichzeitig die Nationalhymne pfeifen.«
»Konditionierte Verhaltensmuster, Reflexe auf bestimmte Reize! Glauben Sie etwa, der Papagei weiß, was für ein Lied er pfeift?«
»Nun, warum nicht, schließlich kennt er ja die verschiedenen Strophen auswendig. Wenngleich ich zugeben muss, dass sich bald herausstellte, dass die Studie nicht unbedingt repräsentativ war. Der Papagei hatte sowieso nur noch ein Bein, und die Nationalhymne
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