Drachenblut
Jetzt galt es, Ruhe zu bewahren und möglichst schlagfertig zu sein. Wenn er nicht aufpasste, würde morgen die ganze Redaktion über ihn lachen. Fink unternahm daher einen Anlauf zur Vorwärtsverteidigung, indem er einen Angriff auf Schönfeldts Ehre startete und ihn vor seinen Begleiterinnen bloßzustellen versuchte.
»Nehmt euch nur vor dem alten Schmierfink in acht!« zwinkerte er den Praktikantinnen zu, wobei er auf Schönfeldts zweifelhaften journalistischen Ruf anspielte.
Schönfeldt stutzte einen Augenblick. »Schmierfink? Haha! Das ist gut.« Und dann konnte er sich vor Lachen kaum mehr kriegen, »Haha, Schmier fink ! Haha! Das ist wirklich gut!«
Zuerst wusste Fink nicht, was los war. Dann aber kam ihm die Erleuchtung wie ein Hammerschlag. Ein solch fataler Fehler war nie wieder gutzumachen.
»Kommt, das müssen wir gleich den anderen erzählen, haha!« Schönfeldt machte mit den beiden Praktikantinnen kehrt und zog herzhaft lachend davon. »Schmierfink, haha …«
Fink blieb vor Zorn bebend zurück und war froh, dass er nicht bewaffnet war.
Auf der Bühne spielte eine Tanzkapelle. Der Sänger versuchte, mit diversen Showeinlagen das Publikum zum Mitmachen zu animieren (»Und auch die Fußballer da hinten - jawohl, ihr seid gemeint! - machen jetzt bei der Polonaise mit!«). Bunte Luftschlangen und Luftballons flogen über die Köpfe der Tanzenden hinweg. Konfetti regnete pausenlos herab, und die Mitglieder des Vereins für Bewegungsspiele sanken im Bemühen, sich möglichst unsichtbar zu machen, noch tiefer in ihre Stühle hinein.
Eigentlich hatte Rex keine Lust gehabt, den Abend in einer verrauchten und hoffnungslos überfüllten Stadthalle zu verbringen. Aber Hank war wenig geneigt seinen Hund alleine zu Hause zu lassen, nachdem dieser das letzte Mal das Sofa angenagt und aus einem unerfindlichen Drang heraus die Erde aus dem großen Blumentopf gescharrt hatte. Bevor sich Hank nun den Feierlichkeiten am Tisch zuwenden konnte, musste er noch dafür sorgen, dass Rex keinen Unsinn anstellen konnte. Schnell war Rex mit der Hundeleine am Stuhl festgebunden, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich geduldig neben sein Herrchen zu setzen und das illustre Publikum im Saal zu betrachten. Rex konnte über das bunte Treiben nur den Kopf schütteln. Hätte er sich als Hund ähnlich aufgeführt wie einige der Gäste, so wäre ihm das sicherlich schlecht bekommen. So sah sich Rex wieder einmal darin bestätigt, dass man die Menschen unmöglich ernst nehmen konnte. Mit der ihm eigenen schauspielerischen Gabe begann Rex, sich mit den vorbeiziehenden Menschen Späße zu erlauben.
Ein Jägersmann kam orientierungslos dahermarschiert. Offensichtlich war er zu weit von seinem Stammtisch abgetrieben worden und hatte in der vollen Halle erhebliche Mühe, wieder zurück zum Ansitz zu finden. Rex stellte seine Ohren aufmerksam auf, lehnte sich etwas nach vorne und hob in der Art eines Vorstehhundes seine rechte Vorderpfote vom Boden ab. Der Waidmann entpuppte sich jedoch beim Näherkommen als Plagiat. Er war Angehöriger irgendeiner ländlichen Volkstanzgruppe, die die Gestaltung ihrer Trachten der Jägerkleidung entliehen hatten. Vielleicht schoss der Mann tatsächlich hin und wieder einen Bock, dies allerdings mehr im Sinne der bekannten Redewendung, die durch sein augenblickliches Verhalten durchaus nahe gelegt wurde.
Dann eilte die Bedienung vorbei. Nur wenige Schritte hinter ihr zog der Pfarrer seine Bahnen, der auf eine passende Gelegenheit wartete, bei der er die Bekanntschaft des reizvollen Geschöpfes machen konnte. Rex tat jetzt, als wäre er ein Engel. Vielleicht übertrieb er die Frömmelei ein wenig, da der Pfarrer begeistert auf den braven Hund zuging, um ihn zu streicheln. Rex konnte furchtbar mit den Zähnen fletschen und heimtückisch mit den Augen funkeln. Der Gottesdiener zuckte zurück, und bis er sich von seinem Schrecken erholt hatte war die Bedienung längst über alle Berge.
Es folgte eine ältere Dame, die auf einem Pappteller ein Wiener Würstchen durch den Saal balancierte. Schnell legte Rex seinen Kopf zur Seite und schaute die Dame mit großen Unschuldsaugen an. Als Krönung des Ganzen wedelte er mit dem Schwanz und gab dazu ein leises Winseln von sich. Zufrieden nahm Rex seine Belohnung in Empfang und zog sich zu einem Mittagsschläfchen unter dem Tisch zurück.
»Hallo, Bedienung! Haben Sie uns vielleicht
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