Drachenblut
nächste Ecke.
Um sich für die Demütigung zu rächen, beschloss Virgil, den Köter schwitzen zu lassen. Jawohl, arbeiten sollte er, bis die Schaltkreise glühten. Das würde ihn schon lehren, wie er sich in Zukunft zu benehmen hatte. Virgil drückte den Steuerknüppel der Fernbedienung nach vorne und jagte das Servicemobil durch die ausgestorbenen Gänge. Ziel des Ausfluges war die Waffenkammer, die sich irgendwo in der Nähe des Generatorraumes befinden musste, und wenige Steuerbefehle später machte der Roboter vor einer massiven Stahltüre halt: ACHTUNG - HOCHSICHERHEITSBEREICH! ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN!
Hier war Virgil richtig. Er besaß zwar keine Genehmigung zum Betreten der Waffenkammer, aber wenn man es genau nahm, war es ja das Servicemobil, das sich über die Warnung an der Tür hinwegsetzen wollte. Ein Roboter unterlag wohl kaum den unsinnigen Zugangsbeschränkungen, die in jeder militärischen Anlage obligatorisch waren.
Ohne eine Sekunde zu verlieren, rannte das Servicemobil gegen die Stahltüre an und fuhr das Hindernis einfach über den Haufen. Als sich der Staub wieder etwas gelegt hatte, konnte sich Virgil einen Überblick über die Lagerbestände machen. Er fühlte sich dabei wie ein Kind, das sich in einem Spielwarenladen austoben durfte. Es gab Granaten, Gewehre mit modernen optischen Zieleinrichtungen, es gab chemische und bakteriologische Kampfmittel, die eigentlich verboten waren, seltsamerweise aber hier in rauen Mengen gelagert waren. Da waren Präparate, mit denen der Milzbrand oder auch nur eine einfache Schnupfenepidemie ausgelöst werden konnte ("A" - Vor Licht und Wärme schützen!). Und da waren Flüssigkeiten, mit denen man sprengen, ätzen oder verbrennen konnte ("B" - Nicht schütteln! - Nicht werfen!).
Ein Jammer, so dachte sich Virgil, dass er den Inhalt all der Fläschchen nicht ausprobieren konnte. Es musste ja nicht gleich jemand zu Schaden kommen. Aber er hätte schon gerne gewusst, wie das menschliche Nervensystem auf die Tinktur reagierte, deren Behältnis durch eine Reihe von Zeichnungen geschmückt war, auf denen ein südamerikanischer Staatsmann ein dünnes Strichmännchen mit einer Banane lockte und gleichzeitig das arme Kerlchen mit eben der Flüssigkeit übergoss, worauf das Strichmännchen umfiel und seine Glieder von sich streckte. Drei dieser Fläschchen, so stand stolz auf dem Etikett, hatten bei richtiger Anwendung das Vernichtungspotential einer ganzen Armee. Kopfschüttelnd bugsierte Virgil das Fläschchen mit dem Greifarm des Roboters zurück in das Regal, wo noch Hunderte gleicher oder ähnlicher Tinkturen vorrätig gehalten wurden.
An anderer Stelle lagerten in der staubigen Kammer die hochgezüchteten Waffen zum elektronischen Krieg. Lasergesteuerte Fernlenkwaffen, Nachtsichtgeräte, automatisierte Kampfroboter auf plumpen Panzerketten, Tretminen (die mit einem als Entschärfhebel getarnten Zündmechanismus versehen waren), Zielerfassungsgeräte und Hochgeschwindigkeitsgeschosse für den lautlosen und sicheren Tod. Und damit die Soldaten nicht so schwer zu tragen hatten, standen noch gepanzerte Zugfahrzeuge in allen erdenklichen Größen und Bauarten parat, welche den Soldaten sicherlich ihre Last abnehmen konnten, aber im Kampfeinsatz ebenso wenig zu gebrauchen waren wie die modernen Waffen, deren Bedienung so kompliziert geworden war, dass sie der einfache Landser unmöglich noch beherrschen konnte.
Mit dem Greifarm des Servicemobils langte Virgil in die Regale und prüfte die jeweiligen Waffensysteme in aller Ruhe auf ihre Verwendbarkeit. Aus den in Augenschein genommenen Gerätschaften wählte er dann die geeigneten aus, dazu gehörte auch ein schwerer Pilotenhelm, der mit allerlei Zusatzvorrichtungen bestückt war, und lud sie hinten auf die Ladefläche des Servicemobils. Aus dem Ersatzteillager versorgte sich Virgil zusätzlich mit ein paar Kleinigkeiten, die er noch auf seiner Einkaufsliste stehen hatte, wie etwa meterlange Kabelstränge und diverse Verbindungsstecker.
Als das Servicemobil vollgeladen war, steuerte Virgil das Fahrzeug zurück in den Kontrollraum, wo er die einzelnen Bauteile zusammentrug, damit er seinen Plan verwirklichen konnte. Dieser Plan, der während der letzten Jahre in Virgils Gehirn herangereift war, hatte kein geringeres Ziel, als die Schaffung einer Parallelwirklichkeit, mit der er seinem trostlosen Schicksal unter Tage entfliehen wollte. Virgil wollte eine
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