Drachenblut
einfach, die Lösung für ein Problem zu finden.
Die Dateien zur Simulation des Raketenbunkers waren schnell erstellt, und Virgil konnte unverzüglich zur Tat schreiten. Mit wenigen Handgriffen legte er den Helm und den Datenhandschuh an, überprüfte den korrekten Sitz der Ausrüstung und aktivierte das System. Die winzigen Videoprojektoren justierten sich selbständig, und direkt vor ihm trat der Kontrollraum aus der Unschärfe hervor. Die elektronische Nachbildung war bis zum letzten Schalter an den Konsolen perfekt. Virgil rüttelte an seinen Helm, um sich davon zu überzeugen, ob er sich auch wirklich schon in der VR befände. Sofort blitzte es vor seinen Augen auf, und er unterließ es tunlichst, weiterhin am Helm zu manipulieren, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, dass ihm die Laserstrahlen Löcher in die Netzhäute brannten.
Virgil deutete mit seinem Datenhandschuh zur Tür und machte sich auf den Weg. Zuerst rannte er zweimal gegen die Wand, bevor es ihm gelang, nach der Türklinke zu greifen. Die Steuerung des Systems war eben sehr gewöhnungsbedürftig. Aber als er dann die Klinke nach unten drückte, befiel ihn eine gespannte Erwartung, die man durchaus als Reisefieber bezeichnen konnte, auch wenn er in Wirklichkeit natürlich nicht einen Schritt vom Fleck machte. Die Türklinke gab ohne den geringsten Widerstand nach, und schon stand Virgil draußen auf dem Gang. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Den Bunker hatte Virgil in der Vergangenheit schon mit dem Servicemobil erkundet, und es machte keinen Unterschied, ob er die Gänge über die Videokamera des Roboters betrachtete oder sich mit eigenen Augen von der Trostlosigkeit des unterirdischen Komplexes überzeugte.
KANTINE, GENERATORRAUM, AREA51 SCHUTZRAUM II/A, SANITÄTSBEREICH …
Virgils Schritte verhallten in den endlosen Gängen, und seine Hoffnung schwand, noch irgendwo auf ein Lebenszeichen zu stoßen.
DESINFEKTIONSKAMMER, VERFÜGUNGSRAUM, SICHERHEITSSCHLEUSE …
Schon bald hatte er die Orientierung verloren, und er irrte ziellos umher. Alles sah gleich aus, nur die Hinweisschilder an den Türen änderten sich regelmäßig.
ABSCHUSSRAMPEN, KONTROLLRAUM …
Einen Augenblick, hatte da wirklich Kontrollraum gestanden? Virgil hielt ein und stellte fest, dass er die ganze Zeit im Kreise gelaufen war. Verärgert trat er mit seinem Schuh gegen die Tür.
Er fuhr herum und lauschte angestrengt. Kein Zweifel, draußen hatte es an der Türe geklopft. Einen Augenblick lang stand er wie versteinert da und wagte sich nicht zu rühren.
Virgil legte ein Ohr an die Tür. Ihm war, als hätte er aus dem Kontrollraum ein leises Geräusch gehört. Ein Rascheln vielleicht, das von einem Arbeitsmantel stammte, oder das typische Knarren von gegerbtem Leder, aus dem die Schuhe der Raketentechniker gefertigt waren. Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf: konnten diese Geräusche ein Zeichen von intelligentem Leben sein?
Virgil löste sich aus seiner Erstarrung und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. »Hallo! Wer ist denn da?«
Als Virgil seine eigene Stimme erkannte, begriff er erst, mit wem er es zu tun hatte. Natürlich, er selbst war ja noch immer im Zimmer! Schließlich hatte er den Kontrollraum nicht wirklich verlassen, als er die virtuelle Welt betreten hatte. »Aber ich bin es doch, Virgil …«
Virgil öffnete die Tür und ließ sich herein.
Sie umkreisten sich abschätzend und hielten dabei einen respektvollen Abstand voneinander ein. Es war sehr verwirrend, sich mit sich selbst abgeben zu müssen. Die körperliche Ähnlichkeit war einfach verblüffend. Man hätte beinahe glauben können, er hätte sein eigenes Spiegelbild vor sich. Dieser Vergleich war allerdings nicht ganz treffend, da man vor dem Spiegel genau wusste, auf welcher Seite man stand. Hier, in der VR, war die Angelegenheit schon komplizierter. Virgil beschloss das Experiment vorerst abzubrechen, um sich später in aller Ruhe seine Gedanken darüber zu machen.
»Auf Wiedersehen. Es war nett, dich kennen gelernt zu haben«, verabschiedete er sich. Gedankenverloren erhob er die Hand zum Gruß, rannte dadurch auch schon gegen die nächste Wand und ging dann, als er sich wieder im Griff hatte, hinüber zum Kontrollpunkt, wo sich der Schalter zur zentralen Steuereinheit befand.
Das konnte Virgil natürlich nicht dulden. »Halt, mein Freund! Hier wird niemand
Weitere Kostenlose Bücher