Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lee Parks
Vom Netzwerk:
überdauerte und auf die Stadt herabblickte. Im Licht der Taschenlampe erreichte das Mädchen schließlich den Drachenfelsen. Der Pfad endete nach einer scharfen Biegung auf einem Plateau, über das sich ein gewaltiger Felsen wölbte. Zusammen bildeten das Plateau und die überhängenden Felsen die Kiefer eines riesigen Drachenkopfes, und es war leicht ersichtlich, warum der Felsen seinen Namen erhalten hatte. Ehrfürchtig betrat das kleine Mädchen den Felsvorsprung. Das Licht der Taschenlampe reichte kaum aus, um die Umgebung auszuleuchten. Mächtige Tropfsteine, die sich hier in Jahrtausenden gebildet hatten und die sie nicht mit ihren beiden Armen zu umfassen vermocht hätte, hingen von der Decke oder waren vom Boden in die Höhe gewachsen. Das waren die Zähne des Drachens, und obwohl nicht wenige der Zähne abgebrochen und stumpf geworden waren, erschienen sie dem kleinen Mädchen doch Angst einflößend genug, um ihr das Gefühl des Unwohlseins zu vermitteln. Sie fürchtete sich beinahe davor, bei einer unbedachten Bewegung vom Drachen verschlungen zu werden. Kristalle glitzerten im Schein ihrer Taschenlampe, Wasser tropfte hier und da von der Decke, und kleine Rinnsale flossen die Wände herab und versickerten im steinigen Boden, als wäre es Blut, Drachenblut.
        Im hinteren Teil des Felsvorsprungs, dort, wo die Felsendecke den Boden des Plateaus berührte, befand sich der Eingang zu einer Höhle, die hier in den Berg verschwand und wie der Schlund des Ungeheuers aussah.
        Unentschlossen stand das kleine Mädchen vor dem Höhleneingang. Sie wusste nicht, ob sie es wagen sollte, in die Tiefe zu steigen. Hatte sie ihr Ziel nicht schon erreicht und den Drachenfelsen bezwungen, so wie sie es sich vorgenommen hatte? War es nicht an der Zeit, wieder umzukehren und sich auf den Heimweg zu machen, bevor ihre Eltern ihre Abwesenheit bemerkten? Aber dann war die Neugierde stärker als alle Bedenken. Das kleine Mädchen nahm den Rucksack vom Rücken, legte ihn auf dem Felsenplateau ab und begann den Abstieg in den Höhlengang, der tief hinein in das Innere des Berges führte.
        War der Weg zum Drachenfelsen schon voller Gefahren gewesen, dann war der Abstieg in die Höhle erst recht gefährlich und erforderte den ganzen Mut des kleinen Mädchens. Meter für Meter tastete sie sich vorwärts, und bei aller Neugierde hoffte sie doch, der Gang würde schließlich zu eng werden und sie zur Umkehr zwingen. Die Höhle wurde tatsächlich immer niedriger und schmaler, und bald kam das Mädchen nur noch in gebückter Haltung vorwärts. Außer den Felsbrocken gab es wenig zu sehen. Das Licht der Taschenlampe entriss der Dunkelheit nur wenige Details, die für das Mädchen interessant gewesen wären. Und als sie schon daran dachte umzukehren, weitete sich der Gang mit einem Mal zu einer Höhle, die so hoch und mächtig war, dass ihre Taschenlampe nicht bis zur Decke leuchtete.
        Ehrfürchtig blieb das kleine Mädchen stehen. Angesichts der grenzenlosen Schwärze um sie herum fühlte sie sich winzig und zerbrechlich. Aber das Gefühl der Unsicherheit wich bald einem Gefühl des Triumphes. Sie hatte es geschafft, sie war an ihrem Ziel angekommen.
        Alsbald machte sich das kleine Mädchen daran, die Höhle zu erkunden. Durch die dünnen Sohlen ihrer Schuhe hindurch spürte sie, dass der Boden mit kleinen Kieselsteinen bedeckt war. Das war ungewöhnlich für diesen Ort, und als sie mit der Lampe auf den Boden leuchtete, machte sie eine erstaunliche Entdeckung. Vor ihr breitete sich ein riesiges unterirdisches Meer aus. Es erstreckte sich hinaus zum Horizont, wo es irgendwo mit der Finsternis verschmolz und in seinen Ausmaßen nicht mehr zu erfassen war. Es war unmöglich, größere Teile der Höhle im Licht der Taschenlampe zu überblicken. So stand das kleine Mädchen etwas hilflos am Ufer und leuchtete hinaus auf das Wasser, um doch wenigstens einen groben Eindruck von den Dimensionen zu erhalten, die sich vor ihr auftaten. Hier war sie also am Ende ihrer Reise angekommen. Bei aller Genugtuung über diese Feststellung wusste sie doch genau, dass ihre Reise niemals zu Ende war, weil es dort draußen hinter dem Horizont irgendwo weiterging, und dass ihr nur ihre Phantasie blieb, um dieses unbekannte Terrain zu erforschen.
        Das kleine Mädchen streifte die Schuhe ab und lief einige Schritte in das Wasser hinaus, um ihre Sinneseindrücke zu intensivieren. Sie stellte zu ihrer Überraschung fest, dass

Weitere Kostenlose Bücher