Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
Vom Netzwerk:
ich spürte die Missbilligung, die mir von der anderen Seite des Feuers entgegenschlug.
    Schließlich hörte man Thorgunnas verächtliches Schnauben. »Die unbedachte Zunge spricht sich selbst
ihr Urteil aus, wenn man sie nicht im Zaum hält«, zitierte sie.
    »Du klingst wie die Großmutter vom roten Njal«, erwiderte ich in dem Versuch, es mit einem Scherz abzutun. »Oder wie meine Pflegemutter.«
    »Die hast du wohl nie gehabt, wie mir scheint«, sagte sie scharf, »denn die hätte dir bessere Manieren beigebracht.«
    Das ging etwas zu weit, und Kvasir legte ihr die Hand auf den Arm, damit sie sich zurückhielt.
    »Sieh dir doch an, wo wir hier sind, Jarl Orm«, unterbrach Thordis, die sich so weit vorgebeugt hatte, dass ihre Augen im Feuer funkelten. »Hier, in dieser Wildnis, wo wir dir in ein ungewisses Schicksal folgen. Wenn dein Wyrd dich jetzt einholt, haben wir das Recht, zu sprechen. Hier stehen mehr Leben auf dem Spiel, als du ahnst.«
    Das weckte Erinnerungen an Einar. Das konnte ich nicht einfach so abtun.
    »Wollt ihr denn Kveldulf? Dann nehmt ihn bei euch auf und werdet glücklich mit ihm – aber ich will ihn nicht am Hals haben …«
    In dem Moment wurde mir bewusst, was sie gesagt hatte, und mir blieb der Mund offen stehen. Ich sah Thordis an, dann Finn, dann wieder sie. Finn machte ein betretenes Gesicht, und Thordis lachte leise.
    »Nicht ich, Rosskopf … jedenfalls noch nicht.«
    Thorgunna, fest in ihren Umhang gewickelt, hob den Kopf. »Ich bin nicht mehr allein.«
    Das war die Art, wie man es bei uns im Norden bekannt gibt, und Kvasir hatte offenbar schon längere Zeit Bescheid gewusst, denn er zeigte keinerlei Regung. Ich dafür umso mehr. Jon Asanes lachte; der rote Njal und die anderen fingen sofort an, darüber zu reden, und die Nachricht verbreitete sich im Lager wie ein Lauffeuer.
    »Bist du ganz sicher?«
    Das war eine sehr blöde Frage, und mit ihren schwarzen Augen sah sie mich spöttisch an.
    »Selbst bei dieser Kälte und unserer miserablen Ernährung merke ich, wenn sich Leben in mir regt, Jarl Orm«, sagte sie spöttisch. »Außerdem habe ich mit einem Ei geschlafen und am nächsten Morgen das eine Ende abgeschlagen. Dem Dotter nach zu urteilen wird es ein Junge.«
    Ich lehnte mich zurück und sah sie an, dann Kvasir, und hatte das Gefühl, dass die beiden sich irgendwie gegen mich verbündet hatten. Einer der großen Slawen – es war der, der behauptet hatte, auch er könne ein menschliches Bein essen – sagte: »Ein Ei!« Es klang, als hätte er zu gern gewusst, wo sie einen solchen Schatz noch aufgetrieben hatte.
    »Jetzt siehst du also, Händler«, fuhr Thordis unbeirrt fort, »warum wir uns alle Sorgen machen.«
    Sie hatte recht, und ich schämte mich noch mehr als vorher und musste meinen Kopf ein paarmal schütteln, um wieder klar denken zu können.
    »Meine Worte waren unüberlegt«, gab ich zu, »aber der Grund war richtig. Was geschehen ist, ist geschehen. Ein törichter Mensch liegt die ganze Nacht wach und überlegt hin und her; am nächsten Morgen ist er hundemüde und genauso schlau wie zuvor.«
    »Wie deine Pflegemutter immer sagte«, fügte der rote Njal hinzu. »Wahrscheinlich hat sie meine Großmutter gekannt.«
    Allgemeines Gelächter, dann summte der Kreis am warmen Feuer bald wieder von vielen leisen Gesprächen. Ich jedoch konnte die Augen nicht von Thorgunna abwenden, immer wieder sah ich sie an und dachte über dieses
neue Leben nach und wunderte mich, dass es an einem Ort wie diesem überhaupt entstehen konnte. Und gleichzeitig machte ich mir Sorgen.
    Ich hatte schon genug Frauen und Kinder hier, um die ich mich kümmern musste. Jetzt lastete noch zusätzlich dieses Ungeborene auf meinen Schultern, noch ehe es den ersten Atemzug getan hatte.

Ich stand auf dem Rücken eines graubraunen Wals, der aus dem gefrorenen See auftauchte, und starrte in den Schlund seines Blaslochs, und Finn, Kvasir und ein paar andere zogen mich auf, weil ich die Insel nicht wiedererkannt hatte, als ich sie vom Ufer des gefrorenen Sees aus gesehen hatte.
    Wir waren auf einem Weg des Elends hierhergekommen, einer Spur aus gefrorenen Leichenteilen, von denen die Raubtiere bei unserer Ankunft flüchteten.
    Der kleine Morut hatte uns geführt. Immer wieder hatte er geduldig auf uns gewartet und dabei sein klapperdürres Pferd mit einer Mischung aus gehacktem Stroh und Tierfett gefüttert. Ich bewunderte den kleinen Chasaren aus demselben Grund, weswegen ich damals den Beduinen

Weitere Kostenlose Bücher