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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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grasen. Über die nächsten sieben oder acht Tage sollte die Leine dann immer etwas länger werden, bis man das Pferd schließlich ganz losbindet, damit es wieder zur Herde zurückkehren kann. Ein Pferd, das diese Behandlung durchgestanden hat, ist ein wertvolles Tier und stellt ein Vermögen dar, denn es kann vier oder fünf Tage ohne Unterbrechung arbeiten und kommt mit einer Handvoll Futter pro halbem Tag aus, dazu braucht es nur einmal am Tag etwas Wasser.«
    Er strich dem genügsamen Tier liebevoll übers Maul, und ich schwor mir, dass ich Morut mit seinem Pferdeverstand später in Hestreng haben wollte.
    »Vielleicht hätten diese Männer so ein ähnliches Training durchlaufen sollen«, sagte Hlenni Brimill und zeigte mit dem Kopf auf die Toten.
    »Hier sind aber keine toten Männerhasser-Weiber darunter«, bemerkte Ref. »Entweder sie hatten keine Verluste, oder sie haben ihre Toten fortgebracht.«
    »Es ist auch nichts geplündert«, brummte Gyrth. Tatsächlich hatten wir festgestellt, dass alle Toten noch ihre Kettenhemden und Helme trugen.
    »Vielleicht haben diese amazonoi sich nicht getraut, sie sind schließlich nur Frauen«, meinte Jon Asanes, und als Kveldulf nur verächtlich ausspuckte, wurde der Junge rot vor Zorn. Doch niemand ergriff Partei für ihn, denn Kveldulf hatte ja recht. Den Frauen hatte nicht der Mut gefehlt,
sondern sie waren nur erschöpft gewesen. Aus demselben Grund ließen auch wir die Toten liegen, und nicht, weil wir zu zimperlich gewesen wären, ihnen die Glieder zu brechen, um sie gerade liegend zu begraben – denn was kümmerte es die Toten?
    Es fehlte uns die Kraft. Wie Onund zu Jon sagte, als wir uns weiterschleppten: Man kann sich einen Unterschlupf bauen und darin einen dreitägigen Schneesturm verschlafen  – wenn man nicht vorher schon zu erschöpft ist. Es ist die Erschöpfung, die einen solchen Tiefschlaf im Schnee zu einer Todesfalle macht. Was hätten wir davon, wenn wir hier einen Haufen Zeug erbeuteten, das wir ohnehin nicht schleppen könnten, oder uns verausgabten, indem wir Gräber schaufelten, die die Wölfe eine Stunde später wieder aufscharren würden?
    Deshalb schonten wir unsere Kräfte und stolperten über gefrorenes Geröll eine Böschung hinab zu der großen Senke mit dem zugefrorenen See und der Insel in der Mitte. Eine Insel, die aussah wie der Rücken eines Wals, der sich aus dem Wasser erhob. Eine Insel mit sechs Wagen darauf und einem Loch.
    Ich brauchte eine Weile, bis klar wurde, was ich sah. Wir gingen hinunter zu der Stelle, wo die Überlebenden von Lambissons Mannschaft das vereiste Seeufer so weit abgeflacht hatten, dass sie die Wagen hinüber zur Insel schieben konnten.
    Hier war es auch gewesen, wo Finn und der kleine Eldgrim mich beim ersten Mal aus dem gurgelnden, schlammigen Wasser gezogen hatten. Irgendwo dort unten, im Eis eingeschlossen, waren die Gebeine von Krummnacken, dem anderen Eldgrim, den wir den Langen nannten, Sighvat und den anderen. Dies war tatsächlich die Stelle – wir waren nur aus einer anderen Richtung auf sie gestoßen,
zu einer anderen Jahreszeit und sieben Jahre später. Mir wurde klar, dass ich das Schwert mit den Runen gar nicht mehr brauchte.
    Diese Erkenntnis war niederschmetternd. Wir hatten uns auf der Suche nach diesem Schwert durch halb Serkland gequält, Männer waren umgekommen oder hatten den Verstand verloren, um diese Waffe wiederzufinden, und der einzige Grund waren diese Runen, die ich in den Griff geritzt hatte. Und jetzt schien es mir, dass ich, auch wenn ich mich in der großen Schneewüste neunmal und nochmals neunmal um die eigene Achse gedreht hätte, diesen Ort mit verbundenen Augen gefunden hätte, weil ich von Odin oder der Fylgja von Hild geführt wurde. Oder von beiden.
    Ich sah Finn an, und er grinste mit seinen aufgesprungenen Lippen. Falls auch er daran dachte, wie nutzlos das Schwert auf meinem Rücken war, dann zeigte er es nicht. Er wischte sich nur das Blut vom Mund und sagte: »Nun sind wir also doch wieder hier, Orm, mein Junge.«
    Ich schlurfte über das geriffelte verschneite Eis, die anderen hinter mir her, dann betraten wir die vereiste Insel und gingen bis zu dem Loch.
    Denn dies war natürlich keine Insel.
    Es war das Dach von Attilas Grabkammer.
     
    Wir fanden Hrolf Eriksson, genannt Fiskr, der in einem der Wagen lag, der Letzte von Lambissons Männern, der auf der Insel noch am Leben war. Sie nannten ihn Fiskr – Fisch –, weil er einst im Sturm mit der Leine

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