Drachenboot
würden.«
»Trotzdem haben sie Hrafn mit Pfeilen beschossen«, sagte Botolf grimmig, »als er auf sie zulief, weil sie seine Stuten mitnehmen wollten. Das arme Tier kann kaum noch gehen, falls es überhaupt noch auf den Beinen ist.«
Finn und ich sahen uns an, dann sah er hinunter auf den schlaffen Körper des Mannes, den er zu kennen glaubte.
»Alte Freunde«, brummte er.
Es war ein Schock, ihn da so ganz gemütlich an Tors Herdfeuer sitzen zu sehen, die Füße auf der Bank, während er sich die Reste der Mahlzeit, die wahrscheinlich aus einer meiner Stuten bestanden hatte, mit einer Knochennadel aus den Zähnen stocherte. Er grinste, denn er wusste, sein Anblick traf mich, als hätte ich auf dem Grund meiner Suppenschüssel eine fette Spinne entdeckt.
Klerkon. Irgendwo hatte er auch noch einen anständigen Svearen-Namen, aber der wurde von den Zwergen so sorgfältig bewacht wie das Geräusch der Katzenpfoten, der Atem der Fische und alle anderen Dinge, die die Welt vergessen hat. Sie nannten ihn Klerkon nach seinem Vater, der ein klerkr gewesen war. In der Sprache der Svearen bedeutete das lediglich, dass jemand Latein konnte, obwohl Nordmänner auch häufig diesen Namen trugen, wenn sie Christenpriester waren.
»Eine kleine Überraschung für dich«, sagte er. Sein grinsendes Gesicht mit der Knopfnase und den hellen Augen war von einem grauen, wolligen Haarkranz umrahmt und erinnerte mich an den Kopf einer Büste, die ich einst in der Großen Stadt gesehen hatte und die schon vor langer Zeit zerbrochen war. Sie hatte listige Augen, kleine Bockshörner und dicht gelocktes Haar, und Bruder Johannes, der damals bei mir war, sagte, es sei der griechische Gott Pan. Dieser Pan habe lange Ziegenbeine gehabt und Flöte gespielt, außerdem bumste er alles, was sich nur bewegte.
Dieser Pan hätte der Vater Klerkons sein können, der mir jetzt einen Hocker zuschob und bedeutete, ich solle mich setzen, ganz so, als gehöre die Halle ihm. Im Dunkel hinter ihm, wo ich nach Tor und Thordis Ausschau hielt, sah ich Gestalten, deren grinsende Gesichter kurz im Feuerschein aufleuchteten und wieder verschwanden, ab und zu blitzte Metall auf. Ich hörte den schweren Atem von Männern, und in der Halle hing der Duft von gebratenem Fleisch. Stutenfleisch.
Ich war so wütend, dass mir fast übel war, als ich mich zusammen mit einem Dutzend Männer zu Tors rauchendem Hof aufgemacht hatte. Zuerst sahen wir, dass nur die Außengebäude brannten – ein Stall und das Backhaus. Kurz darauf fanden wir die Leiche von Flann, Tors Sklaven, die von einem Fremden in einem rostigen Kettenhemd nach Beute durchsucht wurde. Der Mann sah selbst aus wie jemand, der seit Langem tot und wieder aus dem Grab auferstanden war. Als er uns erblickte, richtete er sich langsam auf und wischte sich die Hände an der Hose ab.
»Bist du Jarl Orm?«, fragte er mit dickem finnischen Akzent.
»Wer will das wissen?«, fragte ich zurück, und er zuckte die Schultern.
»Ich heiße Stoor und diene jemandem, der es gut mit dir meint«, erwiderte er mit lauter Stimme, als sei er ein Herold. »Er sagt dir Sicherheit zu und lädt dich ein, in die Halle zu kommen. Ich soll dich begleiten.«
»Leck mich …«, knurrte Finn, und er hätte noch mehr gesagt, wenn ich ihm nicht mit einer Handbewegung zu schweigen geboten hätte. Wir sahen uns an. Dann folgte ich Stoor, allein.
Tors gemütliche Halle war zu einer Raubtierhöhle geworden;
und bei diesem Gedanken hatte ich das Gefühl, als fahre mir ein Speer in den Hals, und mein Magen zog sich zusammen.
»Es ist doch immer ein Vergnügen, eine alte Freundschaft zu erneuern«, sagte Klerkon aufgeräumt. »Tut mir leid wegen des Missverständnisses vorhin, aber so was passiert schon mal bei einem Strandhogg. Die Männer packt beim Hühnerfangen das Jagdfieber, du kennst das ja. Aber es war keine böse Absicht, und es ist ja auch weiter nichts passiert.«
Er gab mir deutlich zu verstehen, dass das, was ich an Tieren verloren hatte, durch den Tod seiner sechs Männer mehr als ausgeglichen war. Dann rief er nach Bier, und Thordis brachte es. Doch sie sah mich nicht an, sie wirkte fremd und verstört, als sie mir den Holzbecher hinstellte. Eine Strähne ihres dunklen Haars hatte sich aus ihrem Zopf gelöst, aber sie schien es gar nicht zu bemerken. Normalerweise hätte sie so etwas nie geduldet.
»Tor«, sagte ich zu ihr, und sie reagierte nervös. Klerkon lachte kurz auf, und aus dem Halbdunkel wurde eine Bank ins Licht
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