Drachenboot
zwischen den Füßen der Rudernden angesammelt hatte.
Ich stand am Bug und war froh, dass ich nicht rudern musste. Ich starrte über die graugrüne Wasserfläche zur Küste, die im bläulichen Dunst lag, einen Fuß auf der Ducht, die Hand an einer Brassenleine.
»Es ist meist die stille, ruhige See, in der man ertrinkt«, sagte eine Stimme dicht hinter mir, es klang wie die Bedrohung durch ein verborgenes Riff. Erschrocken fuhr ich zusammen, drehte mich um und starrte in das verlegene Gesicht des roten Njal, der seinen Platz an den Riemen verlassen hatte, um zu pinkeln.
»Wie meine Großmutter immer sagte«, fügte er hinzu, indem er den warmen Strahl über Bord schickte.
»Ziel gefälligst in die andere Richtung, du nichtsnutziger Sohn einer Sklavin«, brüllte Finnlaith hinter ihm, »denn wenn du mich nass machst, dann bist du es, der in der stillen, ruhigen See ertrinkt!«
»Sohn einer Thrall!« Der rote Njal spuckte verächtlich aus und drehte sich halb zu Finnlaith um; aber als die Männer anfingen zu fluchen, drehte er sich schnell wieder
zurück und zielte aufs Wasser, indem er sich entschuldigte und Finn wegen seiner Beleidigung beschimpfte.
»Verachtet mir die Sklaven nicht«, knurrte Onund den roten Njal an. »Der beste Mensch, den ich je kannte, war ein Sklave. Er war auch der Grund, weshalb ich von Island wegging.« Die keuchenden Männer hoben die Köpfe wie Hunde, die eine Spur entdeckt haben, denn Onund sprach selten, und niemals darüber, warum er Island verlassen hatte. Doch auch jetzt hielten sie die Augen auf den Vordermann gerichtet, um beim Rudern im Rhythmus zu bleiben.
Onund fuhr fort. »Ich war mit Gisli zusammen, den sie Sauertopf nennen, aus Geirthiofsfirth in Thornes, den man dort einige Jahre zuvor als vogelfrei erklärt hatte. Der hatte einen Thrall namens Thord Hasenherz, denn er war nicht der Mutigste, dafür aber ein schneller Läufer.«
Unter dem Schnaufen der Ruderer ertönte hier und da ein leises Lachen, ein guter Spitzname war fast so viel wert wie ein guter Vers. Finn ging durch die Reihen und bot den Männern den Wasserschlauch, aus dem sie gierig tranken.
»Vogelfrei oder nicht, Gisli war jedenfalls nicht bereit, Thorsnes zu verlassen«, erzählte Onund weiter. »Also wurde er gejagt. Er nahm seinen Speer, der aus einem Zauberschwert gemacht war, das Graustahl hieß und das er gestohlen und nicht wieder zurückgegeben hatte, was sich auch für ihn rächte – aber das ist eine andere Geschichte.«
Die rudernden Männer grinsten, sie sahen sich im kommenden Winter offenbar schon bei einigen guten isländischen Geschichten am Feuer sitzen. Finn legte den Wasserschlauch hin und trat näher, um nichts zu verpassen.
Onund gab einen grunzenden Laut von sich und fuhr fort. »Er nahm Thord auch mit, und als sie sich im Dunkeln vorsichtig dem Gehöft näherten, gab er Thord plötzlich
seinen liebsten blauen Umhang. Aus Freundschaft, sagte er, und wegen der Kälte. Als sie von drei Männern angegriffen wurden, fing Thord an zu rennen wie immer, aber die Verfolger sahen den Umhang und dachten, es sei Gisli. Sie schleuderten ihre Speere, und einer traf Thord in den Rücken und kam vorn wieder raus. Gisli hatte von einem Versteck aus gesehen, dass die Männer ihm auflauerten. Jetzt kam er heraus, und da die Männer nur noch ihre Sax-Schwerter hatten, brachte er sie alle um.«
»Klingt nach einem gerechten Kampf«, brummte Finn, und Onund zuckte die Schultern, ein Anblick zum Fürchten.
»Das sagt man so«, erwiderte er, »aber ich finde, dass es ein übler Streich ist, den man einem Neiding da gespielt hat und der Gisli auch keine Ehre einbrachte – davon hatte er aus anderen Gründen ohnehin nicht viel, nicht zuletzt, weil er so bereitwillig diesen Christusglauben übernahm. Deshalb ließ ich sein Schiff halbfertig liegen und kam hierher.«
»Andere haben sich auch dem weißen Christus angeschlossen«, gab Finn zu bedenken, und Onund, der wusste, dass auch Finn einst dazugehört hatte, nickte nachdenklich.
»Ich weiß. Die Angelsachsen und die anderen Völker westlich von Jütland sind jetzt auch fast alle Christusanhänger und treiben mit denen, die es nicht sind, keinen Handel mehr«, knurrte er. »Trotzdem ist es nicht sehr ehrenhaft, sich nur wegen des Silbers von seinen Göttern abzuwenden, auch wenn man es für kurze Zeit tut.«
»Lieber kein Silber als keine Ehre«, pflichtete der rote Njal bei, der gerade wieder seine Hose hochzog und zu seinem Platz zurückging.
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