Drachenbraut
nicht greifen konnte, und so widmete er sich, dankbar für die Ablenkung, den Berichten der Alphas, die nach und nach per Handy bei ihm eingingen.
Es waren nach dem Aufstand der Alphas vor einigen Jahren nicht mehr viele, und sie alle unterstanden jetzt ihm allein. Aber das System war fragil, die Beanspruchung der absoluten Macht lag den Führern der Wandler schlicht im Blut. Umso wichtiger war deshalb die Einhaltung der Hierarchien. Er befahl und man erstatte ihm Bericht. So funktionierte diese Welt. Nur dass er nicht der war, für den man ihn hielt. Dass er es eigentlich seit über achthundert Jahren nicht mehr war. Diesen Fakt kannte niemand. Er hielt dieses Detail fein säuberlich versteckt.
Die kalten Finger der Verzweiflung berührten seine Seele und der Gefangene in ihm stöhnte leise auf. Er konzentrierte sich auf die Dinge, die jetzt getan werden mussten, um dem Strudel an unerwünschten Emotionen zu entkommen.
Während der Rat fieberhaft nach dem Riss in der Atmosphäre suchte, durch den die Alben in ihre Welt eindringen würden, wenn er nur groß genug war, war es die Aufgabe der Alphas, Ruhe und Ordnung in den eigenen Reihen sicherzustellen. Bis jetzt waren die Rapports der Alphas unauffällig, aber er wusste, dass sich dies innerhalb von wenigen Stunden ändern konnte. Die Alben würden keine Zeit verstreichen lassen und das tun, wozu sich vermutlich bereits jetzt in der Lage waren: Magische Wesen gedanklich manipulieren und sie für ihre Zwecke benutzen.
Im nächsten Moment fing sein Handy neben ihm auf dem Beifahrersitz wieder an zu vibrieren.
«Ich bin es.»
Hornet. Dem Rauschen in der Leitung nach zu urteilen befand er sich in einem starken Kraftfeld. Einem Schutzzauber für den Rat, wie Valentin annahm.
«Wir haben den Riss in der Atmosphäre ausmachen können. Ayikos ist schon unterwegs, wie du es befohlen hattest. Die Koordinaten sind noch etwas ungenau, aber sie reichen aus, um wenigstens eine grobe Einordnung vornehmen zu können. Was wir sicher wissen, ist, dass der Riss sich direkt hier über Deutschland befindet», fasste Hornet alle Geschehnisse auf seine nüchterne Art zusammen.
Ayikos war der Einzige, den er zur Zeit beim Rat entbehren konnte und dem er zutraute, sich zur Wehr zu setzen. Ihm war nicht wohl dabei, aber sobald der Ort des Risses bekannt war, mussten sie alles daran setzen, ihn zu schließen.
«Man munkelt, dass sie bei ihrem letzten Auftritt nur einen Bruchteil ihrer Macht eingesetzt haben. Eine kleine Vorübung sozusagen, um das Terrain zu sondieren. Nachdem wir sie damals fast vernichtet haben, werden sie sich wohl diesmal nicht als Vorgruppe des Todes präsentieren, sondern aus dem Vollen schöpfen.»
Die Stimme des blonden Hünen klang so angespannt, wie Valentin sich fühlte, und seine Worte setzten augenblicklich das Emotionskarussell wieder in Gang.
«Die Bilder ihrer Taten sind ein Teil des kollektiven Bewusstseins geworden. Die Welt erinnert sich. Die Menschen werden erkennen, was vor sich geht. Aber sie werden es nicht aufhalten können», murmelte Valentin, während ein dumpfer Schmerz sich langsam in seiner Brust auszubreiten begann.
«Nur damit wir uns einig sind. Wir reden hier nicht von Millionen Opfern. Das war damals, jetzt reden wir vom Weltuntergang. Ragnarök. Licht aus.»
Ein minimales, kaum wahrnehmbares Zittern hatte sich in die letzten Worte Hornets geschlichen. Valentin atmete einmal tief durch, um zurück in seinen Alpha-Modus zu finden.
«Noch haben wir Zeit.»
Die unrühmliche Statistik der Alben ließ ihn vermuten, dass es noch ein wenig Spielraum bis zum großen Showdown gab. Wobei es sich nur um ein rein physikalisches Problem handelte. Sie mussten das Portal in diese Welt vergrößern, um hindurchzugelangen. Allerdings wären sie trotzdem in der Lage, ihnen ein Vorab-Kommando an manipulierten Seelen schicken. Ihre Auftritte waren geplant und durchorganisiert. Eine Choreografie des Todes.
Valentin setzte den Blinker links, um einen langsameren Mercedes von der linken Spur zu jagen. Das Gefühl der Dringlichkeit war schlagartig noch um einige Prozentpunkte angestiegen.
«Was ist mit der Weissagung?»
Hornet klang bei dieser Frage wieder normal, nüchtern und sachlich. Er befasste sich lieber mit Fakten als mit einer vagen Vorstellung des Weltunterganges. Und bei der aktuellen Sachlage zählte wohl schon eine unklare Prophezeiung zu den Fakten.
«Der schlafende Drachenkrieger muss erwachen, sonst ist die Welt verloren
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