Drachenbraut
gegessen. Das würde sie jetzt ändern und einen kleinen Abstecher in die Kantine machen. Sie eilte den Flur hinunter und dabei warf sie ihrem iPhone einen Blick zu, um nach der Uhrzeit zu sehen. Als sie wieder aufblickte, blieb sie wie angewurzelt stehen.
Wieder trug er einen gut geschnittenen Anzug in Dunkelgrau. Wieder war seine Präsenz fast überwältigend. Und wieder gab es diese Alarmmeldung in ihrem Kopf. Er wandte ihr das Gesicht zu, die im Moment dunkelbraunen Augen umrahmt von ungewöhnlich langen Wimpern. Schöne Wimpern und ebenso schöne Augen, wie ihr auffiel. Allerdings wusste sie auch, was dahinter lauerte.
«Wie sind Sie hier reingekommen?»
Dies war immerhin eine Intensivstation und keine öffentliche Cafeteria.
Er antwortete nicht. Stattdessen dreht er mit vor der Brust verschränkten Armen den Kopf und blickte durch die Glasscheibe in Zimmer 1. Dort kämpfte seit vierundzwanzig Stunden ein Mann um sein Leben. Josefine folgte seinem Blick auf die vielen Schläuche und Kabel sowie Schwester Andrea, die mit all dieser technischen Ausstattung hantierte.
«Seid ihr sicher, dass das Leben so erstrebenswert ist, um es mit allen Mitteln zu erzwingen?»
Seine Stimme war kalt, fast teilnahmslos, und in Josefine wallte Wut auf. Was maßte dieser Mann sich an? Und was um alles in der Welt wollte er hier?
«In meiner Welt zählt jedes Leben. Wenn es in Ihrer Welt anders ist, behalten Sie das an diesem Ort bitte für sich. Was wollen Sie?»
Er drehte wieder den Kopf in ihre Richtung. Sie registrierte die Müdigkeit in seinem Blick. Sie sah die Schatten unter seinen Augen, was in Kombination mit den ungewöhnlich hohen Wangenknochen eine unerklärliche Anziehungskraft auf sie ausübte. Und erst jetzt bemerkte sie die dunkle Narbe einer frisch verheilten Verletzung an seiner Schläfe.
Sein Blick ließ sie nicht los und ihr wurde schwindelig. Sicherheitshalber blinzelte sie und starrte dann knapp an seinem Kinn vorbei die Wand an. Er brachte sie völlig durcheinander. Sehr unangenehm. Vielleicht war sie aber auch einfach zu müde und leichter als sonst durcheinanderzubringen? So musste es sein.
«Wir müssen gehen.»
Seine dunkle Stimme mit dem kaum wahrnehmbaren Akzent strich über ihre Haut wie eine Berührung. Ihre Hände fingen an zu zittern und sie steckte sie schnell in die Hosentasche. Was war nur los mit ihr?
Er war sicherlich das attraktivste männliche Wesen, das ihr seit langer Zeit über den Weg gelaufen war. Aber deswegen verlor sie doch nicht gleich die Fassung. Sie musste hier weg.
«Ich muss gehen. Ich habe nämlich Feierabend. Was Sie tun, bleibt Ihnen überlassen.»
Kam er vom Rat? War das hier eine neue Form der Vorladung?
«Wir gehen gemeinsam! Ich habe keine Zeit für Geplänkel!»
Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.
«Wenn es um meine Gabe geht, ist diesbezüglich alles gesagt. Der Rat kann mir nichts nachweisen und somit ist auch nichts passiert», zischte sie.
Als Reaktion darauf war wenige Sekunden später die Luft erfüllt von seiner Macht. Er war es definitiv nicht gewohnt, dass ihm widersprochen wurde.
Abwehrend wedelte Josefine mit der rechten Hand vor ihrem Gesicht herum. «Ich hab’s Ihnen schon mal gesagt: Das funktioniert nicht. Also lassen Sie es!»
Er betrachtete sie jetzt mit Interesse. In seinen Augen blitzte es auf und sie fühlte sich unangenehm daran erinnerte, welch ehrfurchtsvolle Erstarrung sein Erscheinen beim Magischen Rat ausgelöst hatte. Er war irgendein ganz großes Tier der magischen Welt, dem vermutlich alle zu Füßen lagen. Was ihr allerdings herzlich egal war. Sie hasste es, manipuliert zu werden.
Als Antwort zog sie den Schulterriemen ihrer Tasche über den Kopf und begann demonstrativ nach ihrem Autoschlüssel zu kramen. Er bewegte sich nicht einen Millimeter von der Stelle , betrachtete sie aber weiterhin mit seinen sonderbar schönen Augen. In diesem Blick lag etwas Raubtierhaftes. Für einen kurzen Moment kam sie sich vor wie ein klitzekleines Beutetier, das gerade mal als Snack für zwischendurch durchging.
Plötzlich knallte etwas und im selben Moment gingen sämtliche Lichter aus. Erschrocken fuhr sie herum und versuchte sich in dem auf einmal stockdunklen Flur zu orientieren. Entfernt hörte sie einen Schrei. Im nächsten Augenblick war er über ihr, riss sie mit sich zu Boden. Seine Arme packten sie fest am Oberkörper. Der Feueralarm brach mit schrillen Tönen über sie herein.
Sie trat um sich, bekam aber keine Hand
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