Drachenei
Schließlich übernahm der älteste Schwadronsführer das Kommando. Er musterte diejenigen aus, die in diesem von dem Glänzenden verlassenen Gebiet zu bleiben wünschten, und führte den Rest der Truppe zurück an die Grenzen des Reichs. Dort fiel ihm die unangenehme Aufgabe zu, den entsprechenden Clans den Tod von Schnell-Töterin, Nordwind und Klippenbeobachter zu melden.
Die Zeit verging, und das Reich des Glänzenden wuchs und dehnte seine Grenzen aus. Seit das Fort »Schnell-Töterins Aufstieg« bestand, war es leicht geworden, die Grenzen bis an die Vorberge des Ostpolgebirges hinauszuschieben. Doch niemand stieg gern auf Berge, vor allem nicht in der mühsamen Richtung. Deshalb kam niemand des Weges, und die Drachenpflanzen konnten ungestört wachsen.
Eines Tages gab es ein kurzes Beben, als die schwere Last, die das Ei an den Ostpolbergen zu tragen hatte, sich zurechtschüttelte. Eine schlecht ausgebildete Verbindung in einer der drei Drachenpflanzen versagte. Sofort fiel der Dorn der Gravitation zum Opfer, zerriss die Haut und ließ Lebenssäfte auf die Kruste fließen. Eine Weile kämpfte die Drachenpflanze um ihr Überleben, doch schließlich gab sie auf. Ein Dutzend große Umdrehungen später war nichts mehr von ihr übrig als glänzende Drachenkristalle, ein paar Fetzen getrockneter Haut, ein Clan-Totem und das Doppelabzeichen eines Schwadronsführers.
Lange geschah nichts mehr. Dann funkelten die Drachenkristalle unter einem langsam pulsierenden Strahl aus reinem blauem Licht, der aus dem kleinen mittleren Licht der sieben leuchtenden Punkte am Himmel herniederstieg. Die Pulsationen hielten geraume Zeit an und badeten die Berge in einem blauen Glühen. Aber es waren keine Augen da, die sie sehen konnten. Schließlich hörten sie auf.
Und wieder verging die Zeit. Die Barbaren wurden immer weiter vom Reich des Glänzenden zurückgetrieben, und ihre Anzahl wurde geringer. Der große Vulkan im Norden wurde aktiver. Dicke Rauchwolken drängten gegen den Ostpol. Das Ungleichgewicht an Hitze, die der Stern in den dunklen Himmel abstrahlte, wurde so groß, dass gewaltige Stürme entstanden. Gelegentlich trugen sie Rauch in das Ostpolgebiet. Der Himmel wurde wolkig. Die Unterseiten der Rauchwolken leuchteten gelb von der Widerspiegelung der Oberflächenhitze. Die Wärme-Maschine, die zwischen der Pfahlwurzel in der Kruste und der himmelwärts gerichteten Hautschüssel die Drachenpflanzen am Leben erhielt, begann zu versagen. Da die Nährstoffreserven hoch und die wachsenden Anforderungen niedrig waren, verloren die Pflanzengene ihre Wirksamkeit, und andere Enzymmechanismen begannen zu wirken. Langsam löste sich der Drachenkristall auf und wandelte sich in feste Muskeln unter einer dicken Haut um. Die kleinen lichtempfindlichen Knospen an den Spitzen der Kristalldorne bildeten ihre Klappen neu, und unter diesen wuchsen neue kleine Augen. Noch schliefen sie.
Schnell-Töterin wachte auf.
Sie fühlte sich sehr merkwürdig, als habe sie lange Zeit keinen Muskel mehr bewegt. Glücklicherweise verursachten ihr die Verbrennungen an Oberseite und Augen keinen Schmerz mehr.
» Meine Augen! Ich kann nicht sehen! Wie soll ich jemals ohne Augen aus diesen Bergen hinauskommen?«
Dann merkte sie, dass sie all ihre Augen fest unter die Schutzklappen gezogen hatte. Vorsichtig schob sie eines nach dem anderen hervor.
» Ich kann Licht sehen«, sagte sie. » Aber alles ist ganz verwischt.«
Sie versuchte, ein Pseudopodium zu bilden, um ihre Augen abzuwischen, war aber so schwach und unbeholfen wie ein frisch ausgeschlüpftes Kind. Schließlich gelang es ihr, aber es dauerte eine volle Umdrehung, bis sie wieder klar sehen konnte.
Sie wusste, dass sie durch den Feuerstoß vom Himmel schwer verletzt worden war, aber jetzt fühlte sie sich ausgezeichnet, abgesehen von ihrer Muskelschwäche, ihrer Unbeholfenheit und der getrübten Sicht. Am meisten erstaunte sie, dass sie keinen Hunger mehr empfand.
Als gute Truppenkommandantin hatte sie zuerst an ihre Leute gedacht und nach Nordwind und Klippenbeobachter Ausschau gehalten, sie aber nicht entdecken können. Sie war zu schwach zum Reisen, deshalb konzentrierte sie sich auf Übungen, um für die Anstrengungen eines Abstiegs unter der enormen Anziehungskraft des Eis vorbereitet zu sein.
Nach ein paar Umdrehungen fühlte sie sich viel besser und begann, ihre Umgebung zu untersuchen. Soweit sie sich erinnern konnte, war sie noch in demselben Tal, in dem das Feuer vom Himmel
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