Drachenei
dass er es unterlässt.«
» Und wenn er zu schwierig wird, während er hier ist«, fiel Besänftigerins Stolz ein, » könnten wir dafür sorgen, dass er zerfließt.«
» Nein, ich glaube nicht, dass das nötig sein wird«, widersprach Besänftigerin. » Schließlich ist es mein oberstes Ziel, diese barbarischen Instinkte zu besänftigen, damit künftige Generationen sich auf zivilisierte Weise betragen – wie es die Menschen tun.«
» Dann soll es also Tödlicher Stachel sein?«, fragte Besänftigerins Erster.
» Ja«, sagte Besänftigerin. » Wir werden diesem Beinahe-Barbaren aus dem Norden einen königlichen Empfang bereiten, damit er sich viel bedeutender vorkommt, als er in Wirklichkeit ist. Und nach der Paarung schicken wir ihn mit so vielen Geschenken nach Hause, dass er die Herausforderung vollkommen vergisst.«
» Ich werde sofort alle Vorbereitungen treffen, Mutter.« Besänftigerins Erster glitt in die Richtung des königlichen Geländes davon.
» Ich gehe in die Himmelsgespräch-Bibliothek«, kündigte Besänftigerin an. » Wie ich hörte, ist auf einem der Kommunikationskanäle ein neues Buch über einen der frühen menschlichen Herrscher eingetroffen. Ich möchte es aufmerksam auf neue Ideen hin studieren. Ich hoffe, die Gedanken, die sich der Mensch Napoleon zum Thema Regieren gemacht hat, werden sich als ebenso interessant erweisen wie die Machiavellis.«
Besänftigerins Stolz sah seiner Mutter nach, die sich zum Himmelsgespräch-Gelände aufmachte. Eine Schwadron Soldaten umgab sie in Keilformation. Die stämmigen Körper brachen ihr sowohl in den mühsamen als auch in den bequemen Richtungen Bahn. Besänftigerins Stolz hörte ihre Sohle noch murmeln:
» Wie soll ich es nennen? Besänftigerins Stachel? Wer hat jemals von einem besänftigenden Stachel gehört? Besänftigerins Tödlicher? Nein – das ist noch schlimmer …«
Auf dem Himmelsgespräch-Gelände angekommen, begab sich Besänftigerin sofort in die Bibliothek und achtete darauf, nicht in die Nähe des Kommunikationskomplexes zu geraten. Auf gar keinen Fall wollte sie von Besänftigerins Sorge, diesem kriecherischen Geschöpf, belästigt werden.
Sie bedauerte es sehr, dass sie in ihrer Jugend nur das Stichwort GOVERNMENT der menschlichen Enzyklopädie studiert hatte. Ihr neues Wissen hatte sie dem naiven Führungssystem der halbbarbarischen Cheela ihrer Zeit aufgepfropft. Vor Kurzem war sie Anführerin der Vereinigten Clans geworden. Sie hatte einen mächtigen Staat errichtet, der sich die Überreste barbarischer Stämme auf dem Ei einverleibte, und schließlich dem gesamten Stern Frieden gebracht. Als Besänftigerin aller Clans war sie jetzt mächtig genug, jeden widersetzlichen Clan, jede aufrührerische Gruppe zu unterwerfen. Aber ihre Aufgabe war es, ihre Herrschaft durch weniger gewaltsame Mittel zu festigen und eine Dynastie zu gründen, die für alle Zeiten das Problem aus der Welt schaffen würde, wer der nächste Herrscher sein sollte. Denn das würde in Zukunft vom Ei an festliegen.
Ihr erster und, wie sie hoffte, einziger Fehler war der Versuch gewesen, die Reihe ihrer Nachkommen vollständig aus ihrem eigenen Leib zu erschaffen. Besänftigerins Erster war ein schönes Exemplar eines Cheela, und es machte sie stolz, dass er ihren Namen weiterführen würde, wenn sie einmal zerfloss. Nun hatte sie gedacht, sie könne ihre ausgezeichneten Eigenschaften mit den seinen vereinigen, indem sie sich mit ihm paarte, sobald er das Kindergehege verlassen hatte. Unglücklicherweise entsprach das Ergebnis nicht ihren Erwartungen. Die Alten im Kindergehege hatten dem Kleinen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Aber bald war es allen klar, dass er kaum Verstand genug hatte, um allein zu essen. Besänftigerin hatte für Besänftigerins Sorge die Sinekure als Hüter der Kommunikation gefunden. Aber es widerstrebte ihr, an ihre Schwächen erinnert zu werden. Nach dem, was in der menschlichen Enzyklopädie über GENETIK stand, schlummerten nämlich die Schwächen, die bei Besänftigerins Sorge so offensichtlich waren, auch in ihr, nur dass sie von anderen, besseren Genen ihrer Paarungspartner überdeckt waren.
» Wenn ich die anderen Stichworte wenigstens überflogen hätte, statt mich allein auf GOVERNMENT zu konzentrieren«, sagte sie wohl zum hundertsten Mal zu sich selbst. Dabei wusste sie sehr gut, dass sie, wenn sie es getan hätte, die Bibliothek bis heute nicht verlassen hätte und nicht die Besänftigerin aller Clans
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