Drachenei
wäre.
Tatsächlich hätten Besänftigerins Pläne beinahe funktionieren können. Die Biophysiker der Cheela pflegten selten für Dutzende von Generationen den genetischen Kodemechanismus zu berechnen, aber wenn sie es taten, waren sie ebenso wie die Menschen überrascht, welche Vielfalt es gab. Wegen der hohen Temperaturen auf dem Neutronenstern, die alles in zufallsgesteuertes Chaos zu zerreißen versuchten, und wegen des starken Magnetfeldes, das alles entlang den Magnetfeldlinien ausrichtete, bestand die genetische Struktur der Cheela aus einer dreifachen linearen Kette komplizierter nuklearer Moleküle. Wenn das genetische Molekül von Enzymen kopiert wurde, wirkte jede der drei Ketten als automatische Kontrolle. War eine der drei mutiert, überstimmten die anderen beiden sie, und in der neuen Dreifachkette war die Mutation nicht mehr vorhanden. War es zu zwei Mutationen gekommen, sodass alle drei Ketten sich voneinander unterschieden, zerstörte das reproduzierende Enzym sich selbst und damit auch das fehlerhafte Gen. Nur in dem Fall, dass zwei gleichartige Mutationen entstanden waren, konnte ein Fehler durchschlüpfen. Unglücklicherweise hatte es in den Genen, die das Nervensystem ihres Sohns Besänftigerins Sorge bildeten, zu viele Fehler gegeben. Er war geistig zurückgeblieben.
Viele, viele Eier später war Besänftigerin wirklich müde, aber ihr Ehrgeiz trieb sie weiter an. Ihr alternder Körper ließ jetzt nukleonische Hormone in ihre Säfte fließen, deren Aufgabe es war, ihre Aggressivität zu bremsen und sie auf die wichtige Aufgabe einer alten Frau vorzubereiten.
Die Gene der Cheela erweckten bei den Alten das Verlangen, sich liebevoll um die Eier des Clans zu kümmern. Die jüngeren Frauen legten die Eier ab, vergaßen sie und kehrten zu ihrer Aufgabe zurück, als Kriegerinnen den Clan vor Feinden zu schützen. Aber es gab keine wirklichen Feinde mehr, und Besänftigerin wollte keine alte Frau sein und Eier hüten. Sie übertrug deshalb den sich entwickelnden Hüterinstinkt auf ihr ganzes Volk und spornte sich weiter an, ihre Herrschaft durch Regierungstechniken, die Generationen von Menschen entwickelt hatten, zu festigen.
Endlich sah auch Besänftigerin ein, dass sie so nicht für alle Zeiten weitermachen konnte. Einmal musste sie zerfließen, und dann war keine Besänftigerin aller Clans mehr da, die die streitbaren Clans besänftigte. Natürlich war Besänftigerins Erster im Großen und Ganzen fähig und bereit, ihren Platz zu übernehmen und seine Pflicht als Besänftiger aller Clans zu erfüllen. Aber ihr persönlicher Ehrgeiz hinderte sie daran, die Macht über ihr Volk aufzugeben.
Besänftigerin erinnerte sich an eine alte Geschichte über eine Frau namens Schnell-Töterin, die als Erste den Kontakt mit den Menschen hergestellt hatte. Schnell-Töterin hatte als Leonardo da Vinci der Cheela das erste Kommunikationssystem erfunden und war die erste Hüterin der Kommunikation gewesen. Das war lange her. Damals hatte diese Stellung große Kenntnisse vorausgesetzt, und für Sendung, Empfang und Aufzeichnung hatte noch kein Team von Kommunikationsingenieuren und Bibliotheksassistenten bereitgestanden.
Besänftigerin machte einen Besuch bei den Wissenschaftlern des Himmelsgespräch-Geländes. » Wenn ich mich richtig erinnere, erlebte Schnell-Töterin, die erste Hüterin der Kommunikation, eine seltsame Umwandlung, die sie verjüngte«, sagte sie.
» Ja«, antwortete einer der Wissenschaftler. » Unter einem extremen Trauma bildete sich ihr Körper zu dem einer Drachenpflanze um. Das blieb sie für ein paar Dutzend große Umdrehungen, und dann kehrte die Drachenpflanze aus irgendeinem Grund zu der Gestalt einer Cheela zurück. Doch dieser Körper war fast vollständig neu und deshalb jugendlich, während die narbenbedeckte Außenhaut und das Gehirn einer älteren Person gehörten.«
» Ich möchte diese Umwandlung durchmachen«, erklärte Besänftigerin, » damit ich fortfahren kann, mein Volk zu führen.«
» Das wäre außerordentlich gefährlich, o Besänftigerin aller Clans«, antwortete der Wissenschaftler verstört. » Kurz nach Schnell-Töterins Erlebnis wurde das Experiment von vielen Cheela unternommen. Bei den meisten geschah gar nichts, und sie gaben es auf und wandten sich der Aufgabe zu, Eier zu hüten. Andere hatten sich so ausgehungert, dass sie einfach aufhörten zu leben und zerflossen. Es war nicht einmal mehr so viel Fleisch an ihnen, dass es sich gelohnt hätte, die
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