Drachenelfen
als
er im Erdgeschoß ankam, waren die beiden nirgends zu sehen. Und nicht zu hören.
Fluchend lief er den Korridor entlang (derselbe,
durch den er hereingekommen war), musterte den Boden, die Wände, die
geschlossenen Türen zu beiden Seiten. Er hatte fast das Portal erreicht, als
ihm zu Bewußtsein kam, daß hier einiges äußerst merkwürdig war.
Lichter brannten, wo es vorhin dunkel gewesen
war. Kein Lakai stand gähnend und schwatzend in der Portiersloge, auch die gab
es nicht. Wo die Tür hätte sein müssen, stand Haplo vor einer nackten Wand.
Zwei neue Gänge führten in entgegengesetzte Richtungen. Sie waren endlos, viel
zu lang in Anbetracht der Größe des Gebäudes. Haplo hatte keinen Zweifel, auch
sie mündeten wieder nur in andere Flure.
Er befand sich in einem Labyrinth, wieder in
einem Labyrinth, diesmal erschaffen von den Schlangen, ein auswegloses,
alptraumhaftes Gebilde, das nirgends hinführte, außer in den Wahnsinn.
Der Patryn blieb stehen. Er streckte tastend die
Hände aus, um vielleicht zu fühlen, was sich hinter der Illusion verbarg und
den Bann zu brechen. Die Situation barg ihre Gefahren: Während er glaubte, in
einem leeren Korridor zu stehen, befand er sich in Wirklichkeit vielleicht
draußen im Freien, umringt von einer Hundertschaft bewaffneter Elfen.
Seine Lage war schlimmer, viel schlimmer, als
wenn man ihn plötzlich mit Blindheit geschlagen hätte. Seines Augenlichts beraubt,
wären ihm die anderen Sinne geblieben, auf die er vertrauen konnte. So aber
tat er einen Schritt und setzte den Fuß ins Leere – der Boden, den er spürte,
war nicht der, den er sah. Seine Finger griffen durch Wände hindurch, dennoch
berührte er festes Mauerwerk. Er fühlte sich schwindelig, verwirrt.
Er schloß die Augen, um sich ganz auf die
Geräusche zu konzentrieren, aber auch das half ihm nicht. Die einzigen Laute,
die er hörte, vernahm er durch die Ohren des Hundes. Er hätte mit Hugh und Gram
im selben Zimmer sein können.
Ein Prickeln lief über seine Haut, die Runen
erwachten. Etwas, jemand kam. Und er stand da, mit geschlossenen Augen,
hilflos ausgestreckten Armen. Jetzt hörte er Schritte, aber näherten sie sich
ihm…? Oder dem Hund…? Haplo bekämpfte den instinktiven Impuls, einfach um sich
zu schlagen. Ein Lufthauch streifte seine Wange. Haplo wirbelte herum.
Der Gang war immer noch leer, aber verflucht,
Haplo wußte, da war jemand, ganz dicht hinter ihm. Er schöpfte Kraft aus seiner
Magie, die Tätowierungen leuchteten blau, hüllten ihn in eine schützende Aura.
Sie bewahrte ihn vor einem Angriff der
Nichtigen. Aber nicht vor…
Schmerz explodierte in seinem Kopf. Er fiel,
schwerelos, wie in einem Traum, bis der harte Aufprall ihn in die Wirklichkeit
zurückschleuderte. Blut lief in seine Augen, verklebte die Lider. Er bemühte
sich, sie zu öffnen, aber dann gab er auf. Es tat weh, in das grelle Licht zu
sehen. Seine Magie zerbröckelte, löste sich auf.
Noch ein Schlag…
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Kapitel 26
Kathedrale d’Albedo,
Aristagon,
Mittelreich
»Meister«, sagte der Akolyth, Gehilfe des Hüters
der Pforte, »ein Weesham verlangt nach Euch. Graf Tretars Weesham, um genau zu
sein.«
»Sag ihm, wir nehmen keine…«
»Vergebung, Meister, aber das habe ich ihm
bereits gesagt. Er ist sehr beharrlich und besteht darauf, mit Euch persönlich
zu sprechen.«
Bruder Pforte seufzte, nahm noch einen Schluck
Wein, tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und stand vom Tisch auf, um
sich mit diesem aufdringlichen Weesham zu befassen.
Es wurde eine lange Unterhaltung, und nachdem
der Besuch gegangen war, überlegte Bruder Pforte einen Moment, bevor er seinen
Adlatus rief und ihm mitteilte, daß er in der Kapelle zu finden sein werde.
Der Hüter der Seelen und die Hüterin des Buches
knieten in der kleinen Kapelle vor dem Altar. Bruder Pforte trat leise ein,
schloß die Tür und kniete ebenfalls nieder. Andächtig faltete er die Hände und
neigte den Kopf.
Bruder Seele blickte über die Schulter. »Du
bringst Neuigkeiten?«
»Ja, aber ich wollte nicht…«
»Nein, du tust recht daran, uns zu stören.
Sieh.«
Bruder Pforte hob den Kopf und sah bestürzt, was
im Aviarium geschah. Als suchte ein Sturm den beschaulichen Garten heim,
neigten Bäume sich ächzend, Zweige knackten und brachen, Blätter rauschten in
dem Aufruhr Tausender gefangener Seelen.
»Was hat das zu bedeuten?« flüsterte Bruder
Pforte, ohne in seiner Bangigkeit daran
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