Drachenelfen
erbebten und erhoben klagend ihre
Stimmen.«
»Und doch seid Ihr ihnen gefolgt«, meinte Bruder
Pforte bewundernd.
»Es war meine Pflicht«, erwiderte der Hüter der
Seelen schlicht. »Krenka-Anris befahl es mir. Und nun ist es unsere Aufgabe,
erneut ins Dunkel hinabzusteigen, um den Frevlern ihr Handwerk zu legen.«
Bruder Seele stand in der Türöffnung und
breitete die Arme aus. Der feuchte, klamme Luftzug aus dem unterirdischen Gang
bauschte die Regenbogenseide, blähte sie wie schillernde Segel, von denen der
schlanke Körper des Elfen emporgetragen wurde. Er begann zu schrumpfen, bis er
nicht größer war als das Insekt, das man in seinem Orden verehrte.
Mit anmutigen Flügelschlägen gaukelte der
Kenkari durch die Tür und in die Tiefe. Seine zwei Begleiter wirkten
gleichfalls ihre Magie und folgten ihm. Ihre Roben verbreiteten einen
opalisierenden Schimmer, der ihnen den Weg erleuchtete, aber erlosch, als sie
ihr Ziel erreichten.
Unbemerkt betraten die drei das Verlies der
Unsichtbaren.
Gigantische Vögel – gräßliche Kreaturen mit
ledernen Schwingen und rasiermesserscharfen, zahnbewehrten Schnäbeln – griffen
Haplo an. Er floh, aber sie stießen auf ihn nieder. Ihre Flügel trafen seinen
Körper wie Peitschenhiebe. Er setzte sich zur Wehr, auch wenn er seine Peiniger
nicht sehen konnte. Sie hatten ihm die Augen ausgepickt.
Er versuchte ihnen zu entkommen, schleppte sich
blind über den rauhen, steinigen Grund des Labyrinths. Sie schwebten herab,
spitze Krallen zerfetzten seinen bloßen Rücken. Er stürzte, und schon waren sie
über ihm. Sein Gesicht mit den blutigen Augenhöhlen wandte sich den Geräuschen
zu, die sie von sich gaben – heiseres Krächzen niederträchtiger Freude und hämisches,
sattes Glucksen.
Er schlug und trat nach ihnen, sie wichen
flügelschlagend aus, gerade so weit, daß er sie nicht erreichen konnte, und
wenn er entkräftet am Boden lag, hüpften sie auf seinen Körper, gruben die
Krallen in seine Haut und labten sich an seinem Fleisch und seiner Qual, seinem
Grauen.
Sie wollten ihn töten, aber langsam, Stück um
Stück. Sobald sie gesättigt waren, flatterten sie träge davon und überließen
ihn seinem Elend, doch hatte er seine Kräfte zurückgewonnen, seine Wunden
geheilt und versuchte erneut zu fliehen, hörte er wieder das furchtbare
Schlagen ihrer Flügel. Und jedesmal ging ein wenig mehr seiner Macht verloren.
Unwiederbringlich verloren.
Im Verlies der Unsichtbaren angelangt, nahmen
die Elfen ihre normale Gestalt an, nur waren ihre Roben jetzt tiefschwarz,
schwärzer als die Finsternis, die sie umgab.
Der Hüter der Seelen blieb stehen und schaute zu
seinen Begleitern zurück – stumme Frage, ob sie fühlten, was er fühlte.
Die Antwort stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
»Hier ist etwas ungeheuer Böses am Werk«, sagte
der Hüter mit gedämpfter Stimme. »Wie mir dergleichen noch nie begegnet ist.«
»Und doch«, flüsterte Schwester Buch ängstlich,
»atmet es Ewigkeit, als wäre es unsagbar alt.«
»Älter als wir«, stimmte Bruder Pforte zu.
»Älter als unser Volk.«
»Wie können wir es bekämpfen?« fragte Schwester
Buch verzagt.
»Wie könnten wir nicht?« entgegnete Bruder
Seele.
Er schritt zwischen den Zellen hindurch auf
einen Lichtschein zu. Die Nachtwache war eben gegangen, die Ablösung hatte
übernommen. Der Mann griff nach einem Schlüsselbund, um seine erste Runde zu
machen und nachzusehen, wer in der Nacht gestorben war.
Eine Gestalt löste sich aus dem Halbdunkel und
trat ihm in den Weg.
Der Unsichtbare blieb stehen, seine Hand fuhr
zum Schwert.
»Was zum…« Er riß die Augen auf und wich
unwillkürlich einen Schritt vor dem näherkommenden schwarzgewandeten Elfen
zurück. »Kenkari?«
Der Wächter nahm die Hand vom Schwertgriff, er
hatte seine Verblüffung überwunden und besann sich auf seine Pflicht.
»Ihr Kenkari habt keine Rechte«, sagte er
barsch, wenn auch mit dem Respekt, den er gegenüber diesen mächtigen Zauberern
für angebracht hielt. »Es existiert ein Nichteinmischungspakt. Haltet Euch
daran. Im Namen des Kaisers fordere ich Euch auf zu gehen.«
»Die Vereinbarung, die wir mit seiner
Kaiserlichen Majestät getroffen haben, wurde gebrochen, aber nicht von uns. Wir
werden gehen, sobald wir haben, weswegen wir gekommen sind«, beschied ihn der
Hüter der Seelen ruhig. »Laß uns passieren.«
Der Unsichtbare zog sein Schwert und öffnete den
Mund, um
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