Drachenelfen
den Runenkreis zu schließen.
Der Hüter der Seelen drehte sich zu ihm herum
und sah ihn aus seinen dunklen, unergründlichen Augen an. »Krishach wird dir
nichts tun. Nur unsere Feinde haben Grund, ihn zu fürchten.«
»Ach ja? Ihr erwartet, daß ich das glaube?«
»Krenka-Anris hat Eure Bitte vernommen und gewährt
Euch ihre Hilfe.«
Der Phantomdrache landete neben ihnen auf dem Boden.
Er hielt nicht einen Moment still, sondern befand sich in ständiger,
unablässiger Bewegung – hob die Flügel, schlug mit dem Schweif. Der
Knochenschädel, umhüllt von dem durchscheinenden, toten Fleisch, schwang
hierhin und dorthin, behielt alles im Blickfeld der leeren Augenhöhlen.
»Und darauf soll ich reiten«, meinte Haplo.
»Das könnte eine List sein, um mich in den Tod
zu locken.« Iridals aschgraue Lippen bebten. »Ihr Elfen seid meine Feinde!«
Der Kenkari nickte. »Ja, Ihr habt recht, Magicka. Aber irgendwann, irgendwo,
muß irgend jemand das Vertrauen haben, einem Feind die Hand zu reichen, auch
wenn es bedeuten könnte, daß sie ihm abgeschlagen wird.«
Der Hüter griff in den weiten Ärmel seiner Kutte
und zog ein kleines, unscheinbares Buch hervor. »Wenn Ihr Drevlin erreicht«,
sagte er und reichte es Haplo, »gebt dies unseren Brüdern, den Zwergen. Bitte
sie, uns zu vergeben, wenn sie können. Wir wissen, es wird nicht leicht sein.
Wir selbst werden uns nicht so leicht vergeben können.«
Haplo nahm das Buch, schlug es auf und blätterte
ungeduldig ein paar Seiten um. Es schien von Sartan verfaßt zu sein, aber in
der Nichtigensprache. Er gab vor zu lesen, während er es in Wirklichkeit als
Vorwand benutzte, um seinen nächsten Zug zu planen. Er…
Er starrte auf das Buch, hob langsam den Kopf
und sah die Kenkari an, einen nach dem anderen.
»Wißt ihr, was dies ist?«
»Ja«, bestätigte der Hüter der Seelen, »und ich
glaube, das ist, was die Bösen in unserer Bibliothek gesucht haben. Nur
suchten sie am falschen Platz. Sie nahmen an, es müsse sich bei den Werken der
Sartan befinden, geschützt und bewahrt von Sartanrunen. Aber die Sartan haben
es für uns geschrieben. Sie haben es zu unserem Nutzen hier zurückgelassen.«
»Wie lange wißt ihr schon davon?«
»Lange«, antwortete Bruder Seele bekümmert. »Zu
unserer großen Schande.«
»Es könnte den Zwergen, den Menschen – jedem –
ungeheure Macht über euer Volk verschaffen.«
»Dessen sind wir uns bewußt.«
Haplo schob das Büchlein in den Gürtel. »Es ist
keine Falle, Lady Iridal. Ich werde es Euch unterwegs erklären, falls auch Ihr
mir einige Dinge erklärt, zum Beispiel, wie Hugh Mordhand es fertiggebracht
hat, sich von den Toten auferwecken zu lassen.«
Iridals Blicke irrten von den Elfen zu dem
furchteinflößenden Phantom eines Drachen und von da zu dem Patryn, der ihr den
Sohn geraubt hatte. Haplos magische Aura verblaßte in dem Maß, wie es ihm
gelang, sein Erschrecken und seinen Abscheu zu überwinden. Der blaue Schimmer
der Runen wurde schwächer und verging. Mit dem ihm eigenen ruhigen Lächeln
streckte er ihr die Hand entgegen.
Langsam, zögernd, griff sie danach.
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Kapitel 29
Tiefer Himmel,
Mittelreich
Die Sieben Felder, auf dem schwebenden Kontinent
Ulyndia gelegen, waren der Gegenstand von Sagen und Liedern – hauptsächlich
Liedern, denn ein Lied war es gewesen, dem die Menschen in der berühmten
Schlacht der Sieben Felder den Sieg verdankten. Vor elf Jahren – nach
menschlicher Zeitrechnung – hörten der Elfenprinz Rees’ahn und seine
Gefolgsleute das Lied, das ihr Leben veränderte, indem es Erinnerungen weckte
an eine Ära, als die Paxarelfen ein großes Königreich errichteten, gegründet
auf Frieden.
Agah’ran (damals noch König, inzwischen Kaiser
von eigenen Gnaden) hatte Rees’ahn, seinen Sohn, des Hochverrats bezichtigt,
ihn in die Verbannung geschickt und seither mehrfach versucht, ihn ermorden zu
lassen. Die Versuche schlugen fehl. Rees’ahns Macht wuchs. Mehr und mehr Elfen
– entweder unter dem Einfluß des Liedes oder des despotischen Regimes
überdrüssig – scharten sich um das Banner des Prinzen.
Der Aufstand der Zwerge von Drevlin hatte sich
als ›Geschenk der Ahnen‹ für die Rebellen erwiesen. In Rees’ahns neuerbauter
Festung auf Kirikari hatte ein Dankesfest stattgefunden. Der Kaiser war
gezwungen, seine Streitkräfte aufzuteilen und einen Zweifrontenkrieg zu
führen. Die Rebellen hatten sofort ihre Angriffe verstärkt,
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