Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
aufgetragen waren, und tunkte ein Stück Fladenbrot in eine safrangelbe Sauce. Nachdem er ein kleines Stück abgebissen hatte, fügte er hinzu: »Ich würde keinen Krieger in der Wache Nachtatems dulden, der verstümmelt ist. Ganz gleich, wie ruhmreich er einst gekämpft hat.«
»Wird er uns wiedererkennen?«, fragte Bidayn, die sich in die dunkelste Ecke des Zimmers zurückgezogen hatte.
Lyvianne sah zu ihrer Schülerin. Bidayn trug als Einzige noch ihren langen Umhang. Ihr Gesicht war im Schatten der Kapuze verborgen. Solange sie nicht lernte, zu sich zu stehen und ihre Narben nicht zu verstecken, würde sie nie zu wahrer Größe aufsteigen, ganz gleich, wie talentiert sie als Zauberweberin auch sein mochte. Lyvianne dachte an den Menschensohn. So wie er sollte Bidayn werden. Er stand zu sich, ja, er nutzte sein furchterregendes Aussehen. »Der Krieger hat erklärt, dass er nicht mehr in dieses Haus kommen will. Ich glaube, eine weitere Begegnung mit ihm brauchen wir nicht zu fürchten. Was wir hingegen entscheiden müssen, ist, wie wir weiter vorgehen werden.«
»Wir werden nicht einfach in den Krater hinabsteigen«, erklärte Nandalee. »Ihr erinnert euch, was ich euch über die Sieben erzählt habe. Die ersten Meister der Weißen Halle, die spurlos verschwunden sind.«
»Es heißt, sie warten irgendwo in der Einsamkeit der Berge«, platzte Bidayn heraus und Lyvianne hörte ihr an, wie sehr ihre Schülerin diese Geschichte glauben wollte. »Sie werden wiederkehren, wenn Albenmarks dunkelste Stunde naht.«
»Ich glaube, sie haben ihre dunkelste Stunde hier in Nangog erlebt«, entgegnete Nandalee hart. »Sie sind längst tot.«
»Dann hätten ihre Waffen in die Weiße Halle zurückkehren müssen«, wandte Gonvalon ein, der bisher schweigend zugehört hatte. »Dein Schwert Todbringer gehörte einst meiner Schülerin Talinwyn, die hier in Nangog starb. Ihre Klinge kam zurück in die Weiße Halle, obwohl sie auf einer fremden Welt starb.« Er sah zu Bidayn. »Auch ich glaube, dass unsere alten Meister noch leben.«
Nandalee wollte etwas erwidern, doch Gonvalon legte ihr die Hand auf den Arm, und sie schwieg.
Nodon schob seinen Teller von sich. »Ganz gleich, was aus den Sieben geworden ist, wir wissen, es waren schon andere Drachenelfen hier, und sie sind auf ihrer Mission zu Grunde gegangen. Bevor wir in den Krater hinabsteigen, sollten wir herausfinden, was uns dort erwartet. Hat einer von euch eine Vorstellung, wie?«
»Folgen wir der Spur der Worte«, sagte Lyvianne nachdenklich. »Auch die Menschen lieben gute Geschichten. Sie nennen uns Daimonen und fürchten uns. Wenn einige unserer Brüder und Schwestern hier starben, dann wird eine Geschichte zurückgeblieben sein. Vielleicht auf einer der Stelen niedergeschrieben, die sich ihre Könige errichtet haben, oder verborgen in einem Palast- oder Tempelarchiv.«
»Oder in einer Bibliothek«, schlug Bidayn vor.
Lyvianne schüttelte den Kopf. »Nein, mein Liebe. Bibliotheken kennen die Menschenkinder nicht. Nicht einer von hundert vermag zu lesen. Und die wenigen, die schreiben, nutzen diese Gabe nur, um endlose Warenlisten anzufertigen. Tempel und Paläste sind die einzigen Orte, an denen Schriften niedergelegt werden. Und auch dort werden wir vor allem eines finden: langweilige Zahlen. Eine ermüdende Suche steht uns bevor.«
»Vielleicht gibt es wandernde Sänger, die in Liedern und Heldenepen das Wissen um die Vergangenheit bewahren. Die Trolle machen es so«, sagte Nandalee.
Lyvianne musste lachen. »Ja, die Menschenkinder mit Trollen zu vergleichen trifft es ganz gut.«
Bis in die frühen Morgenstunden beratschlagten sie, wer an welcher Stelle mit der Suche nach den Geheimnissen des Weltenmunds beginnen sollte. Lyvianne hörte zu und sagte nur noch wenig. Für sich hatte sie längst entschieden, wohin ihr erster Weg sie führen sollte. Sie wollte den Geheimnissen der Seidenen nachspüren und jenen Vorratsschrank suchen, der den Eingang zu einem Tunnel in ihrem Keller verbarg.
Auch Lyvianne war davon überzeugt, dass Zarah noch lange nicht ihre ganze Geschichte erzählt hatte.
H errscher aller Schwarzköpfe
» Ich, Aaron, Unsterblicher von Aram, Herrscher aller Schwarzköpfe, ging im Jahr der Schlange nach Kush und schlug dort die Heerscharen Luwiens. Ich schritt über tausend tote Feinde, und die Überlebenden flohen vor dem Zeichen des Löwen. Muwatta aber zwang ich im Duell nieder, und so groß war seine Schande, dass Išta seinen Kopf nahm,
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