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Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Titel: Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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gehörten. Es waren Listen mit den Namen aller Wolkensammler, die jemals Priesterinnen des Lebenden Lichts über die Himmel von Nangog getragen hatten.
    Ohne sich von dem zweiten Räuspern der Priesterin beeindrucken zu lassen, legte Nandalee zuerst einen kleinen Silberbarren auf den Tisch, an dem sie den ganzen Tag gesessen hatte, und stellte dann die Kiste mit den Tontafeln in eine der unzähligen Wandnischen zurück. Auf den Vorderseiten der Kisten stand geschrieben, um welche Themen die Texte kreisten, die man dort finden würde. Es gab Tausende Tafeln, die einfach nur Verwaltungslisten aufführten, doch hatte Nandalee auch Reiseberichte, Texte über Architektur und Beschreibungen von Kunstwerken entdeckt.
    Inzwischen hatte die Rothaarige, ohne großes Aufhebens darum zu machen, den Silberbarren an sich genommen. Gemeinsam gingen sie durch den langen Tunnel, der hinauf zum Tempel führte.
    War das Archiv in Nandalees Augen schon ein Hinweis darauf, dass sich die Priesterinnen des Lebenden Lichts für alles Schöne interessierten, so war ihr Tempel ein einziger Beweis dieser These. Auf den weiß getünchten Wänden des Gangs waren Fresken auf gemalt, die eine Flotte auf strahlend blauer See zeigten. Alle Schiffe waren in leuchtenden Farben gehalten: rot, blau oder gelb. Ihre schlanken Rümpfe durchpflügten die See, in der sich Delphine und anderes Meeresgetier tummelten. Priesterinnen streuten Blüten ins Wasser und blickten mit feierlich erhobenen Händen zu einem strahlenden Licht fern am Horizont. Regelmäßig auf dem Boden aufgestellte Öllampen ließen bernsteinfarbenes Licht über die Wände tanzen und vermehrten den Glanz der Farben.
    Wie jedes Mal führte die Bewahrerin des Wissens Nandalee auch an diesem Abend durch den Hauptsaal des Tempels, obwohl es ganz gewiss auch andere Wege hinaus gab. Trotz der späten Stunde knieten noch zahllose Gläubige im stummen Gebet oder standen einfach nur zwischen den Säulen und erfreuten sich an der Schönheit des Tempels. Auch sie war lange in der Säulenhalle geblieben, als sie zum ersten Mal hierhergekommen war. Es war ein Ort der Harmonie, der ganz und gar nicht zu dem passen wollte, was sie sonst auf Nangog von den Werken der Menschenkinder gesehen hatte. Jedes Mal, wenn sie die Halle durchquerte, musste sie an Eleborn denken. Ihm hätte der Tempel des Lebenden Lichts ganz sicher gefallen. Wo er jetzt wohl war? Früher hatte er es geliebt, Skulpturen aus Licht und Wasser zu erschaffen, vergängliche Kunstwerke, deren einziger Nutzen darin bestand, für einige kostbare Momente das Auge des Betrachters zu erfreuen.
    Die Priesterinnen des Tempels hätten seine Schülerinnen sein können. In einer großen, goldenen Schale an der Rückwand der Säulenhalle brannte ein helles Feuer. Bewegliche Spiegel aus polierten Bronzeplatten fingen das Licht der Flamme ein und ließen es über Wände und Säulen gleiten. Andere Feuer mussten unter dem Boden brennen. Ihr Schein fiel durch Glasplatten, zwischen denen Wasser eingeschlossen war, sodass auch von ihnen unregelmäßige Lichtreflexe ausgingen, die ein Wellenmuster auf die weiße Decke zeichneten. Dazu erklangen aus verborgenen Räumen seitlich des Säulengangs sanfte Gongschläge und Gesang. Es war ein verwunschener Ort, der zur inneren Einkehr einlud.
    Doch heute hatte Nandalee keinen Blick für den Zauber der Säulenhalle. Mit einem leichten Nicken verabschiedete sie sich von der Rothaarigen, strebte dann eilig dem weiten Bronzetor entgegen und stieg die Treppen hinab zu der Sänfte, die dort den ganzen Tag auf sie gewartet hatte.
    »Zum Haus der Seidenen«, rief sie den Trägern zu, während sie die Vorhänge schloss und sich in die Kissen sinken ließ. Ihr Rücken war verspannt von den endlosen Stunden, die sie im Archiv gesessen hatte. Sie war es nicht gewohnt, ganze Tage stillzusitzen und zu lesen. Lieber würde sie noch einmal durch die Sümpfe wandern, in denen sie auf den Wolkensammler getroffen wa ren. Sie stellte sich vor, was Bidayn davon halten würde, und musste lächeln.
    Bald kreisten ihre Gedanken wieder um den Mann im Stein. »Und als das Lebende Licht sah, dass der Schrecken nicht gebannt war, nahm sie den Mann, von dem das Dunkel nicht weichen wollte, und schloss ihn in einen Stein, damit das Dunkle im Dunkel vergehe«, wiederholte Nandalee leise. War es nur irgendein obskurer Text, oder war sie auf die Spur eines anderen Drachenelfen gestoßen, der Jahrhunderte vor ihrer Geburt hierhergekommen

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