Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
blutigen Spur, die der Löwe hinterlassen hatte. War er nicht abgestellt gewesen, die Menschenkinder zu beschützen? Ihr Leben schien ihren Göttern nicht viel zu bedeuten.
Sie fand Lyvianne immer noch stürzend, kaum zwei Handbreit tiefer gesunken, so wenig Zeit war vergangen. Mit einem Seufzer stemmte sie sich ihre Lehrerin erneut auf die Schulter und trat durch die Goldene Pforte. Sie drang tief in das magische Wegenetz ein, wählte Abzweige, um ihre Fährte zu verwischen, und trat dann durch den Albenstern, der sich an jenem Ort befand, an dem über die Zukunft dreier Welten entschieden werden würde.
E in neues Leben
Als Zarah die Augen öffnete, sah sie nichts als roten Staub. Benommen versuchte sie sich zu erinnern, was geschehen war. Etwas lag schwer auf ihr. Sie regte ihre Glieder. Klackend stießen Steine gegeneinander. Ihr Mund war voller Staub, ihre Kehle eine Wüste und jeder Atemzug eine Qual. Sie versuchte zu schlucken, doch das verschaffte ihr keine Linderung. Sie musste trinken! Sie konnte sich nicht erinnern, sich je in ihrem Leben so durstig gefühlt zu haben. Blinzelnd erkannte sie nun die Vorhänge einer Sänfte. Aber sie stand schief, so als seien die hinteren Tragebalken gegen eine Hauswand gelehnt. Ziegelsteine lagen auf ihren Beinen. Zarah bewegte sich erneut. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren linken Knöchel. Und mit dem Schmerz kehrte die Erinnerung zurück. Horatius, der Hauptman ihrer Eskorte, hatte etwas gerufen. Die Wand! Danach waren alle Erinnerungen ausgelöscht.
Zarah tastete nach ihrem Kopf. Ihre Schläfe war geschwollen. Sie hatte einen Hieb abbekommen. Stöhnend befreite sie sich von den Steinen in der Sänfte und kroch zwischen den Vorhängen hindurch. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken. Sie hatte gewusst, dass es kommen würde. Barnaba hatte das Beben, mit dem Nangog die verderbte Stadt vom Weltenmund abschütteln wollte, in grellen Farben geschildert, aber der Anblick der Straße vor ihr übertraf alles, was sie sich hatte vorstellen können.
Neben ihrer Sänfte lagen zwei Männer ihrer Eskorte. Horatius schien noch zu leben, jedenfalls hob und senkte sich seine Brust. Die anderen Wächter waren verschwunden. Hinter der Sänfte lag das Kapitell einer Säule. Es hatte die Sänfte angehoben. Zarah sah Arme unter dem Kapitell aus den Trümmern ragen und wandte sich hastig ab. Die anderen beiden Sänftenträger schienen geflohen zu sein.
Sie stand inmitten eines Trümmerfeldes, aus dem sich einzelne Häuserwände erhoben. Dazwischen wogte roter Staub. Vereinzelte Schreie drangen aus dem Geröll, Wimmern und Kla gelaute. Eine alte, brüchige Stimme bettelte um Wasser, aber Zarah konnte nicht ausmachen, von wo sie kam.
Langsam begriff sie, was die Katastrophe für sie bedeutete. Sie konnte Arcumenna entkommen! Sie konnte allem entkommen und ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Sie hatte ein neues Leben geschenkt bekommen. Mit widerstreitenden Gefühlen sah sie auf Horatius hinab. Sie sollte einen Stein nehmen und ihm den Schädel einschlagen. Der Hauptmann war so pflichtversessen, dass er nach ihr suchen würde, wenn er nicht ihren Leichnam in der Sänfte fand. Er würde nicht wie die überlebenden Träger und Wachen einfach davonlaufen.
Zarah hob einen schweren Ziegelstein hoch und kauerte sich neben den Krieger. Ein paar Schläge, und sie würde nie mehr über Horatius nachdenken müssen. Inmitten dieser Katastrophe würde sich niemand über einen Toten mehr zwischen den Ziegelsteinen Gedanken machen.
Sie ließ den Ziegel fallen. Sie wollte ihr neues Leben nicht mit einem Mord beginnen. Leise betete sie zur Großen Mutter, sie in Zukunft vor Männern wie Horatius zu beschützen. Dann nahm sie sich einen gesplitterten Speer als Krückstock und hinkte davon. Es fiel ihr schwer, sich zu orientieren, so sehr hatte sich alles verändert. Jedes dritte Haus war in sich zusammengesunken, die Straßen unter Schutt verschwunden und der Rauch unzähliger Brände zog den Hang hinab.
Hoffentlich war ihr Heim nicht ebenfalls völlig verwüstet. Sie hatte einige Edelsteine und etliche Goldmünzen in dem Keller versteckt, in dem sie ihre Weinamphoren lagerte. Genug, um nie mehr in ihrem Leben Armut leiden zu müssen, ganz gleich, wohin sie ging.
Zarah sah zum Himmel hinauf, der hinter Staubwolken und Rauchschleiern seltsam entrückt wirkte. Sie würde sich einen Platz auf einem Wolkensammler suchen. Sie wusste, wohin sie wollte und wo sie für immer in Sicherheit sein
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