Drachenelfen
Waldrand. Es gab sehr wenig Unterholz, so als würde der Wald bewirtschaftet. Vielleicht von Kobolden. Hin und wieder hatte sie in der WeiÃen Halle Diener aus dem kleinen Volk bemerkt. Sie hielten sich sehr zurück und achteten peinlich genau darauf, niemandem im Weg zu stehen.
Der Blick der Elfe wanderte über den Waldrand. Dann endlich entdeckte sie die immergrünen Ãste der Eibe.
Sie lieà die Birke los und schlitterte weiter den Hang hinab. Sie hätte auch nach einer Esche suchen können oder auch nach einer Ulme. Aber das beste Bogenholz stammte von Eiben. In Carandamon gediehen Eiben nicht und nur eine Handvoll Jäger hatten je einen Eibenbogen besessen. Nandalee hatte nur selten Gelegenheit gehabt, einen Eibenbogen zu betrachten. Das zweifarbige Holz mit den unvergleichlichen Eigenschaften. Jeder dieser Bogen hatte einen Namen gehabt und man erzählte sich Geschichten über sie, so wie man Geschichten um besondere Schwerter oder herausragende Jäger spann. Seit sie ein Kind war, hatte sie diesen Geschichten gelauscht, hatte von der Kraft der Eibenbogen erfahren und davon, wie man das Holz mit Wachs behandelte, um die Feuchtigkeit darinnen zu halten. Und wie die Bogen nach Jahren im Dienst schlieÃlich starben, weil sie ihre Spannkraft verloren. Die Jäger richteten regelrechte Totenfeste aus, in denen sie ihre Bogen feierlich den Flammen übergaben, und so, wie man über Verstorbene sprach, erzählte man sich am Feuer Geschichten über den Bogen, der gegangen war, über Jagden und darüber, wie weit er einmal seine Pfeile geschickt
hatte. Nandalee wusste alles über Eiben. Jedenfalls hoffte sie das.
Voll ehrfürchtiger Neugier näherte sie sich dem Baum und erreichte halb rutschend, halb kletternd die Waldgrenze.
Das abendliche Vogelgezwitscher verstummte.
Die Eibe war jung. Nandalee streichelte über die schuppige, rotbraune Rinde. Der Baum war fast perfekt gerade gewachsen. Er war wie geschaffen dafür, ein Bogen zu werden!
Sie zog die kurzstielige Handaxt aus ihrem Gürtel. Bevor sie mit ihrer Arbeit begann, bedankte sie sich leise und mit schlichten Worten bei dem Wald für das Geschenk, das er ihr gemacht hatte.
Beim ersten Hieb stürzte sich ein kleiner Vogel aus dem dichten Geäst. Die Unterseite seiner Flügel erschien im Zwielicht fast weiÃ, so wie der Bauch, der allerdings mit hellbraunen Sprenkeln betupfte Leib. Rücken und die Flügeloberseiten waren unauffällig schwarzbraun. Eine Misteldrossel! Nandalee hielt inne. Sie war zu gierig! Sie hätte erst in den Baum hinaufsteigen sollen. Ausgerechnet eine Misteldrossel! Wenn der kleine Vogel dort oben ein Nest hatte, dann würde der Bogen Unglück anziehen. Sie spähte in das Gitterwerk aus Dämmerlicht und Schwärze hinauf. Da war nichts!
Bestimmt hatte der Vogel nur von den Eibensamen genascht, die von einem süÃlich schmeckenden, fleischig roten Mantel eingefasst waren. So schmackhaft diese Fruchtfleisch war, so gefährlich waren die harten Samen, aus denen man ein starkes Gift gewinnen konnte, ebenso wie aus Rinde und Nadeln der Eibe. Schon in den Früchten spiegelten sich die widersprüchlichen Eigenschaften der Eiben. Sie schenkten Leben und konnten es auch nehmen. So wie die Bogen, die man aus ihren Stämmen fertigte, einst den geschickten Jäger nähren würden, während sie anderen Geschöpfen den Tod brachten.
Unschlüssig blickte Nandalee hinab auf die Kerbe, die drei Handbreit über dem verschlungenen Wurzelwerk im Stamm
klaffte. Der Baum würde sich wieder erholen. Diese Wunde würde ihn nicht töten. Es hieÃ, dass die Lebenskraft der Eiben so groà war, dass selbst aus einem Stamm, der bei einem Waldbrand seine gesamte Rinde verloren hatte, wieder neue Schösslinge austreiben konnten.
Sollte es dort oben ein Nest in einer Astgabel geben, müssten die Jungvögel schon längst flügge sein. Warum zögerte sie? Einer Kriegerin stand es gut an, entschlossen zu handeln. Zu zögern spielte den Feinden in die Hand. Was hatte sie erst am Vortag gelernt? Wenn man über so wenige Krieger wie die Drachenelfen verfügte, konnte man nur siegen, wenn man hart und überraschend zuschlug. So sollten sie denken und leben. Was ihre Lehrer ihnen beibrachten, konnte nicht falsch sein! Ihre Lehren beruhten auf Jahrhunderten der Erfahrung. AuÃerdem war es die einzige Eibe, die sie auf dem Weg, auf dem sie
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