Drachenelfen
Zeit einmal die Schwingen für ihn ausgebreitet hatte, um ihn zu lehren, was der Unterschied zwischen Bewegung und Harmonie war. Er hatte das niemals vergessen und versuchte es seinerseits an seine Schüler weiterzugeben. Was Nandalee hier zeigte, war ein Spiegelbild dessen, was er mit seinem Schwerttanz zu erreichen hoffte.
Sie zog einen Pfeil aus dem Köcher an ihrer Hüfte. Legte ihn auf die Sehne des Bogens, der länger war als sie selbst. So verharrte sie, die Waffe gesenkt. Die Zeit verstrich quälend langsam. Etwas veränderte sich ringsherum. Er konnte spüren, wie sie Magie wob, war sich aber sicher, dass sie es auf die ihr eigene intuitive Art tat. Vielleicht war sie sich dessen gar nicht bewusst. Der Zauber war kraftvoll und hatte etwas kaum greifbares Fremdes an sich. Ganz so, als sei in ein vertrautes Gericht der Hauch eines fremden Gewürzes hineingeraten.
Unvermittelt hob sie den Bogen und zog die Sehne bis hinter ihr rechtes Ohr durch. So verharrte sie einen Herzschlag. Dann lieà sie den Pfeil davonschnellen.
Das Geschoss traf mitten ins Auge.
»Was für ein Schuss!«, rief er mit unverhohlener Begeisterung. Die übrigen Meister verhielten sich reservierter.
»Mag es sein, dass es dir in der Beurteilung deiner Schülerin an der nötigen Objektivität fehlt?«, bemerkte Lyvianne kühl.
»Aber es war doch eine groÃartige Leistung!«
»Nur leider ganz kriegerischer Natur«, entgegnete die Elfe.
Nandalee rief einigen Schülern zu, die Zielscheibe fünfzig Schritt weiter nach hinten zu rücken.
»Was will sie damit beweisen?«, fragte nun auch Ailyn. »Ohne Frage war der Schuss eine herausragende Leistung. Aber heute geht es doch um ganz anderes.«
»Ist es nicht ein Gebot der Höflichkeit, sie ihre Vorstellung zum Ende bringen zu lassen, bevor wir ein Urteil fällen?«, fragte Gonvalon, verärgert über die Engstirnigkeit der Meister. Was gut war, verdiente Anerkennung!
Lyvianne nickte, doch in ihrem Blick lag die Andeutung einer Frage. Unterstellte sie ihm etwa eine Affäre? Er wandte sich ab und sah erneut zu Nandalee. War Lyvianne womöglich nicht die Einzige, die so dachte? Wenn dem so wäre, hätte sein Wort bei den Meistern kein Gewicht mehr.
Gonvalon beobachtete Nandalee nervös. Hatte er etwas getan, das die Meister veranlasste, ihm eine Affäre zu unterstellen? Oder war es allein seine Vergangenheit, die zu dieser Fehleinschätzung führte? Er musste das klären. Doch jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt dafür.
Es war eine Freude, Nandalee zuzusehen. Jede ihrer Bewegungen war vollendete Harmonie. Sie war schön, auf eine wilde, äuÃerst anziehende Art. Sie hatte etwas von der Schönheit von Raubkatzen an sich. Das war unsachlich, ermahnte er sich in Gedanken. Dann öffnete er sein Verborgenes Auge. Auch auf dieser Ebene hatte sie zur Harmonie gefunden. Wie er vermutet hatte, wob sie einen Zauber, doch fügte er sich vollkommen in die natürlichen Kraftlinien, die sie umgaben. Sie zwang nichts eine neue Form auf. Allerdings gab es eine neue Linie. Sie hatte einen goldenen Ton und entsprang ihrer Stirn. Sie verband Nandalee mit dem Ziel. Kaum, dass sie den Pfeil von der Sehne schnellen lieÃ, verblasste sie.
Gonvalon vertraute sich wieder dem Blick seiner Augen an. Nandalee streifte die schwarze Binde ab. Sie sah kaum zur Zielscheibe. Sie wusste, dass sie getroffen hatte. Voller Erwartung und Zuversicht wandte sie sich an die Meister.
»Dies ist meine Kunst«, erklärte sie stolz. »Die Kunst, mit mir, der Natur und dem Ziel in Harmonie zu treten. Wenn ich hinausgehe, um mit dem Bogen zu üben, dann wird meine Seele frei von allem, was mich bedrückt. Das ist es doch, was wir durch die Ausübung von Kunst erreichen wollen. Uns läutern und somit zugleich auch kräftigen für das, was kommen mag.«
»Für mich beinhaltet Kunst, dass am Ende eines wie auch immer gearteten Schaffensprozesses ein Werk steht«, sagte Lyvianne betont sachlich. »In einem Pfeil, der in einer Zielscheibe steckt, vermag ich kein Kunstwerk zu erkennen.«
Nandalees Züge verhärteten sich. »Was ist mit jenen Schülern, die singen oder tanzen? Oder mit Eleborn, der Skulpturen aus Licht und Wasser erschafft, die vergehen, sobald er keine Kraft mehr in seine Zauber gibt? All das erkennt ihr an, ohne dass ein greifbares Werk bleibt!«
»Weil all das
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