Drachenelfen
muskulös. Ihr Kreuz war ungewöhnlich breit für eine Elfe. Vielleicht lag es an ihren Ãbungen mit dem Bogen? Jede Einzelheit für sich mochte als ein Makel gelten. Doch alle zusammen fügten sie sich zu einem Bild eigenwilliger Schönheit. In Gonvalons Augen war sie begehrenswert, und wenn er sich nicht geschworen hätte, nie wieder etwas mit einer Schülerin anzufangen ⦠Das musste er vergessen!
Er dachte an Talinwyn und all die anderen. Auf ihm lag ein Fluch. Er durfte nicht noch einmal schwach werden.
Nandalee trat vor die Meister und verneigte sich gerade so weit, dass man ihr keine Respektlosigkeit vorwerfen konnte.
»Verehrte Meister, ich will euch nicht mit Spitzfindigkeiten täuschen und so am Ende gar die Ehre unserer Schule besudeln.« Sie stand ganz gerade und richtete ihren Blick fest auf Lyvianne, die an diesem Tag das Wort für alle Meister führen sollte. »Was ihr hier in meiner Hand seht, ist ein Jagdbogen, und ihn ein Saiteninstrument zu nennen ist ⦠weit hergeholt. Ich werde eure Ohren nicht beleidigen, indem ich versuche, diesem Bogen Töne zu entlocken. Stattdessen will ich euch offenen Herzens jene Kunst vorführen, der ich mich verschrieben habe und die meine Seele befreit. Eine gute Bogenschützin muss in der Lage sein, alles von sich abzustreifen, was nicht mit dem Schuss zu tun hat. Sie muss sich in tiefe Meditation versetzen. Muss eins werden mit dem Wind, dem Land, das sie umgibt, und ihrem Ziel. Ich weiÃ, dass die Kunst des BogenschieÃens bislang keine der von euch anerkannten schönen Künste ist, und ich bitte euch, dem, was ich euch nun zeigen werde, mit offenem Geist zu begegnen.«
Gonvalon hatte die letzten Tage versucht, auf sie einzuwirken, die Meister nicht schon mit ihrer Vorrede herauszufordern. Sie hatte darauf trotzig reagiert. Jetzt war er angenehm überrascht, dass seine Worte letztlich wohl doch auf fruchtbaren Boden gefallen waren.
Die Meister und etliche Schüler hatten sich auf einer Wiese unweit der WeiÃen Halle versammelt. Es war ein wolkiger Tag mit unbeständigem, böigem Wind. Nandalee hatte etwa achtzig Schritt entfernt eine Zielscheibe aufstellen lassen. In ihrer Mitte war ein schwarzes Auge aufgemalt. Nicht gröÃer als ein Trollauge. Eine Anspielung, fragte sich Gonvalon? Oder nur ein Zufall? Die übrige Scheibe war ganz in Weià gehalten, sodass sich das Auge deutlich absetzte.
»Damit mir keiner den Vorwurf machen kann, dass ich einen Schwindel aufziehe, möchte ich eine der Meisterinnen, die unverdächtig ist, mit mir auf gutem Fuà zu stehen, aufrufen. Bitte, Ailyn, hilf mir.«
Alle Blicke richteten sich auf die Schwertmeisterin, deren Antlitz zu einer bleichen Maske wurde. Gonvalon wusste, wie sehr sie es hasste, im Mittelpunkt zu stehen. Ihr war ihr Ãrger anzusehen, als sie die Gruppe der Meister verlieà und zu Nandalee hinüberging.
Gonvalon seufzte. Nandalee konnte es einfach nicht lassen zu provozieren! Wo würde das hinführen? Obwohl er ihr Vertrauter unter den Meistern war und er jeden Tag viele Stunden mit ihr verbrachte, hatte sie ihm mit keinem Wort verraten, was sie heute tun wollte.
Nandalee hatte eine schwarze Augenbinde vorbereitet. Sie bat Ailyn, zu prüfen, ob das Tuch blickdicht sei, und es ihr anzulegen. Die Schwertmeisterin kam der Aufgabe gewissenhaft nach, obwohl ihr weiterhin eine gewisse Anspannung anzumerken blieb. Zuletzt bat Nandalee Ailyn, sie mehrfach im Kreis zu drehen.
Lyvianne warf Gonvalon einen abschätzigen Blick zu. »Was für Kinderspiele sind das?«
Er konnte nur mit den Schultern zucken. »Ich kenne sie nicht als Kind. Auffällig wurde sie als Mörderin. Und ich bin überzeugt, darin hat sie sehr viel Talent.«
Die Elfe bedachte ihn mit einem spöttischen Lächeln. »War das jetzt ein Lob oder ein Tadel?«
Statt zu antworten, sah er wieder zu Nandalee. Ailyn trat von ihr zurück. Seine Schülerin atmete tief ein. Sie hatte den Kopf leicht gesenkt. Er empfand es als beklemmend, sie so mit verbundenen Augen zu sehen. Wie viel Verzweiflung lag wohl hinter ihrer Auflehnung? Vielleicht war er nicht der richtige Meister für sie? Sie hätte sich ihm anvertrauen müssen.
Nandalee richtete sich zur Scheibe hin aus. Sie hielt sich auf anmutige Art gerade und jede Bewegung wirkte natürlich, ja vollkommen. Gonvalon musste daran denken, wie der Schwebende Meister vor langer
Weitere Kostenlose Bücher