Drachenelfen
Gedanken, die ihn bewegten, zu groà für ihn.
Einer von Shayas Kriegern torkelte an ihm vorüber und erbrach sich über die Reling. Es war bereits der dritte, seit sie durch die Wolkendecke gestoÃen waren. Die Erkenntnis, dass die Wolkensammler sich gegen sie wenden konnten, machte sie krank, dachte Artax. Diese Krieger mussten sich ihren Wolkensammlern bedingungslos anvertrauen. Wie sollten sie sich noch hinaus in den Himmel wagen, wenn sie befürchten mussten, dass die Tentakel, die sie halten sollten, sich um ihren Hals legen könnten, um sie zu strangulieren?
Artax verschränkte seine Finger ineinander, hob sie vor den Mund und blies seinen warmen Atem zwischen die Handflächen. Was für eine Kälte! Wie hoch sie wohl waren?
Ein Blitzschlag erleuchtete die Wolken. Er konnte stumm bis fünf zählen, bevor der Donner zu ihm heraufklang. Kurz stellte er sich vor, auf den dunklen Wolken unter sich zu wandern. Ãber den Blitzen. Wie es wohl war, auf die Wolken zu fallen? Je länger er hinabblickte, desto verlockender erschien ihm die Vorstellung. Er würde die Arme ausbreiten, als sei er ein Adler. Vielleicht
könnte man auf einem Blitz reiten, wenn er es schaffte, einen zu packen zu bekommen? Er beugte sich weit über die Reling. Konnte man vorher erkennen, an welcher Stelle ein Blitz aufflammen würde? Sammelte sich vielleicht Sternenlicht, um dann vom Himmel zu fahren?
Ein Schatten trat neben ihn. »Wir sind nur noch siebenunddreiÃig«, sagte Shaya mit belegter Stimme. »SiebenunddreiÃig von achtundachtzig. Und wir haben unseren Lotsen verloren. Die Glaskanzel ist nur noch ein Scherbenhaufen. Die Tentakel haben sogar ihn angegriffen.« Sie seufzte. Aus den Augenwinkeln sah Artax, wie sie sich mit der Hand über die Stirn fuhr.
»Kopfschmerzen?«
»Ja«, stieà sie gepresst hervor. »Wie noch nie in meinem Leben. Mir wird immer wieder schwindelig, und mein Atem pfeift, als sei ich ein altes, zahnloses Weib. AuÃerdem beiÃt mir die Kälte bis ins Mark der Knochen. Wir sollten nach drinnen gehen, zu den anderen. Ich habe einige Feuerschalen aufstellen lassen. Dort ist es warm.«
Artax blickte zu den Doppelmonden, die ihm in dieser Nacht zum Greifen nahe erschienen. Ein Stück voraus flog das zweite Wolkenschiff. Wie es seiner Mannschaft wohl ergangen war? Er schluckte. Es knackte in seinen Ohren und einen Augenblick lang lieà der Kopfschmerz nach. In dieser Nacht würden sie nicht mehr viel unternehmen können. Vielleicht kamen sich die beiden Wolkenschiffe ja morgen nahe genug, dass man sich Schleppleinen zuwerfen konnte.
Er war müde, wäre aber dennoch gerne länger mit Shaya an Deck geblieben. Flüchtig berührten seine Fingerspitzen ihre Hand. Sie ergriff seine Hand. Drückte sie fest. Auch wenn sie ihm im Frachtraum geschworen hatte, dass sie sich nie mehr trennen würden, wussten sie beide, dass dies nicht Wirklichkeit werden konnte. Sie konnten nicht gegen die Gesetze der Götter aufbegehren. Alles was blieb, waren ein paar gestohlene Stunden. Nichts hatte sich geändert â und doch war alles anders. Sie hatte ihn
ihren Märchenprinzen genannt! Sie hatte ihn geküsst. Vor den Augen der anderen. Sie liebte ihn, das wusste er jetzt. Und sie lebte! Er hatte sie gerettet. Er hatte es wirklich geschafft. Stumm hoffte er, dass es mehr als ein paar Stunden waren, die er ihr geschenkt hatte.
Artax spürte, wie sie zitterte. Es war so kalt, dass ihnen der Atem in dichten weiÃen Wolken vor dem Mund stand. Sie musste ins Warme, auch wenn sie es nicht wollte. Dort war keine Nähe mehr möglich. Sie durften sich nicht noch einmal gehen lassen. Nicht vor so vielen Zeugen.
Kurz entschlossen zog er sie an sich und stahl ihr einen Kuss. Sie hielt ihn fest, erwiderte seinen Kuss, so leidenschaftlich und verzweifelt, als wäre sie sich sicher, dass es das letzte Mal war, dass sie einander in den Armen lagen. Plötzlich musste sie husten, löste sich, krümmte sich und hielt dabei immer noch fest seine Hand.
»Wir sollten hineingehen«, sagte er leise.
Sie nickte. Tränen standen in ihren Augen. Es war das erste Mal, dass er sie weinen sah.
Shaya bemerkte, wie er sie anblickte, und wischte sich mit der freien Hand über das Gesicht. »Der Husten«, entgegnete sie mit kratziger Stimme, die die Wahrheit nicht zu verbergen vermochte. »Nur der Husten.«
»Natürlich.«
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