Drachenelfen
Er drückte noch einmal ihre Hand. Dann musste er sie loslassen. Sie betraten die enge Stiege, die hinab in den Rumpf des Wolkenschiffes führte. Hier herrschte überall Platzmangel. Mit seinem Palastschiff hatte dieser Frachter wenig gemein. Sein Hauptzweck bestand darin, möglichst viele Waren fassen zu können. Artax war zuvor nie zu Besuch auf diesem Schiff gewesen, aber er unterstellte, dass es ganz ähnlich gebaut sein würde wie jenes, auf dem er reiste.
Sein verstauchter Fuà schmerzte bei jedem Schritt, doch er biss die Zähne zusammen und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Vom Ende der Treppe drang mattgelbes Licht aus einer Hornlaterne herauf. Die Wände waren mit Ruà bemalt â wandernde
Herden in weiten Graslandschaften; ein stilisierter Adler, allein im Himmel; ein Steppenreiter, der über die Körper erschlagener Feinde hinwegpreschte.
Am Ende der Treppe schob Shaya eine Tür auf. Sie zwängten sich durch einen engen Gang, bis sie an eine weitere Tür gelangten, die ganz in Rot und Gold bemalt war. Verschlungene Schriftzeichen wanden sich über das Holz. Shaya schob ihn durch einen Vorhang aus Perlschnüren und Artax war überrascht, wie groà die Kammer war, die sie betraten. Trotz der Feuerschalen, die aufgestellt waren, roch es ein wenig feucht und muffig.
In der Mitte der Kammer erhob sich ein Pfahl aus dem Holzboden. Bunte Tuchstreifen waren darum gewickelt und er wurde von einem bemalten Pferdeschädel gekrönt. Ringsherum kauerten die überlebenden Wolkenschiffer und Krieger. Sie wirkten apathisch, einige summten einen monotonen Kehrreim. Unmittelbar vor dem Pfahl kauerte ein grauhaariger Mann und streute Weihrauchklümpchen in eine Kupferschale. Artax kam das alles beklemmend vertraut vor. Er blickte zur Decke hinauf. Sie war ganz und gar von dichtem Wurzelwerk überwuchert!
»Wo sind wir hier?«
»Unter dem Schiffsbaum. Hier sind uns unsere Götter nah und unsere Ahnen.«
Artax blickte zum Perlvorhang zurück, dann zu dem Pferdeschädel und erneut zur Decke. Es war wie auf dem Todesschiff! Kleiner, weniger prächtig, aber ansonsten war es gleich.
»Wir werden hier sterben«, keuchte er, und ein Schmerz fuhr durch seinen Kopf, als habe man ihm einen glühenden Dolch ins Auge gestoÃen. »Der Saal voller Toter. Das alles war wie hier!«
»Aber was sollte uns hier denn umbringen?«, wandte Shaya ärgerlich ein. »Unsere Ahnen und Götter wachen hier über uns.«
»Geht es dir etwa gut? Hast du nicht auch diese Kopfschmerzen? Verspürst du keine Ãbelkeit?« Artaxâ Herz schlug so wild, dass er das Gefühl hatte, es müsse jeden Augenblick zerspringen. Sein Atem ging keuchend. Langsam wich er zu dem Perlvorhang
zurück. »Wir müssen fort von hier, oder wir alle werden sterben!«
Shaya lächelte traurig. »Wohin willst du denn gehen? Wir schweben drei- oder viertausend Schritt über dem Wald. Wir können uns hier oben nur dem Schutz durch unsere Geister anvertrauen. «
Artax sah sie fassungslos an. Offenbar hatte sie nicht verstanden. Es gab keine schützenden Geister für sie. Nicht auf Nangog. Er hatte all das schon einmal gesehen und wusste, hier erwartete sie der Tod.
D IE HÃHLE
Gonvalon stand der Atem vor dem Mund. Als die Sonne unterging, war es noch nicht Winter gewesen, doch jetzt sah er an einigen der alten Bäume Eiskristalle wuchern. Lichter wanderten durch den Nebel. Mal waren sie fern, gerade eben noch zu erkennen, dann wieder kamen sie bis auf wenige Schritt heran.
Nandalee eilte ihnen schweigend voraus. Es gab nur wenig Unterholz. Die dichten Baumkronen erstickten jeden Bewuchs am Waldboden. Jedenfalls soweit er das in dem Nebel sehen konnte. Der weiÃe Dunst reichte ihm bis über die Hüften. Alles hier erinnerte ihn an Matha Naht. Nur die Lichter ⦠Wieder sah er eines ganz nah durch den Nebel gleiten. Er empfand Kälte. So plötzlich und stark, dass es fast wie eine Berührung war. Unter seinen FüÃen spürte er dichtes Wurzelwerk. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sich die Wurzeln streckten oder seinen Tritten auswichen. Als wollten sie ihm den Weg erleichtern.
Ãber ihnen dröhnte das Laubdach vom Regen. Das Wasser verteilte sich ungleichmäÃig auf dem Weg nach unten. Dicht bei den Stämmen blieb der Boden fast trocken, an anderen Orten stürzte es in Kaskaden hinab. Alles hier
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