DRACHENERDE - Die Trilogie
hat, wie ein Eiswolf es tut, wenn er nach Beute sucht?
Erneut schnüffelte er. Die Geräusche, die dabei entstanden, erinnerten an Riesenschneeratten in den Pferchen. Wie oft hatte er sie als Junge beobachtet und manchmal auch geärgert, indem er ihnen etwa scharf riechenden, mit einigen Zusätzen angereicherten Seemammut-Tran hingestellt hatte, der ihren Geruchssinn vollkommen verwirrte, was sie halb wahnsinnig machte.
Vorbei!, dachte er. Alles Vergangenheit. Schatten der Erinnerung, die im roten Nebel der Blutrache verschwammen.
Ja, es gab da eine Spur, der er folgte. Der Spur der Drachen – und jener seines Findelbruders Bjonn. Es war, als wenn beide - die Drachen und Bjonn - diesen Weg genommen hätten. Seine Sinne waren offenbar über die Maßen geschärft, seit er die Gestalt des Rattenmanns angenommen hatte.
Er sah zum Augenmond auf, der bereits kurz davor war, hinter dem Horizont zu versinken. Es war, als ob das Gesicht des Traumhenkers selbst auf ihn herabblickte. Und dann glaubte Wulfgarskint plötzlich, die Stimme Ogjyrs zu hören. Längst war der Todverkünder und Seelentrenner wieder zum Augenmond hinaufgefahren. Nun schien er äußerst ungeduldig auf das Vergnügen zu warten, das er sich von Wulfgarskints Widererweckung versprach. Ich habe dir das Leben nicht gegeben, damit du dich selbst bedauerst und dich deiner Trauer hingibst, du Narr!, vermittelte ihm Ogjyr. Um solches Gejammer zu sehen, genügt es, die Lebenden zu betrachten, dazu bedarf es keines Untoten. Du sollst hassen und töten – und vor allem die Möglichkeiten nutzen, die dir dein neuer, untoter Körper bietet. Denn mit ihm wirst du sogar gegen Drachen bestehen können, wenn du ihn und seine Möglichkeiten ausreichend erforscht hast. Also enttäusche mich nicht!
Wulfgarskints riesenhafte Rattengestalt stieß einen Schrei aus, der seine ganze Wut zum Ausdruck brachte. Der Laut klang wie die Mischung aus dem Ruf eines Seemammuts und dem Krächzen einer Eismöwe und war von einer Kraft, die selbst die Götter erschaudern ließ.
Nutze die Möglichkeiten deines untoten Lebens. Du hast deine neue Existenzform noch nicht einmal ansatzweise erforscht … Alles, was lebt, wird Asche - aber du bist es bereits. Und das ist deine Stärke. Also verweile nicht in der Ödnis dieser eisigen weißen Weite …
„Wenn ich dir zu langweilig bin, dann kannst du unseren Pakt gern rückgängig machen!“, brüllte Wulfgarskint zum Augenmond hinauf. „Nur zu. Ich war bereits tot, und dieser Zustand war nicht so schlimm, dass ich mich vor ihm fürchten müsste. Aber in Wahrheit bist du doch froh über jede Seele, die für einen hohen Preis bereit ist, dir die Einsamkeit zu vertreiben, da selbst die Toten dich und deinen Augenmond meiden wie einen Pestherd. Also nur zu, bestrafe mich, wenn du willst. Nimm mir das modrige, faulige, hasserfüllte Leben, das du mir gabst. Du bestrafst in Wahrheit mehr dich selbst als mich!“
Die Gedankenstimme des Todverkünders meldete sich daraufhin zunächst nicht mehr, und Wulfgarskint war dankbar für dieses Schweigen.
Er setzte seinen Weg fort und war allein mit sich, seinem Hass und seinen Gedanken, die zwangsläufig immer wieder zu einem Punkt zurückgekehrten: zu der Frage, wann und wie er sich rächen konnte. Der Wunsch zu töten wurde schier übermächtig in ihm, nur war diese kalte, weitgehend unbelebte Ödnis wirklich der allerschlechteste nur denkbare Ort, um diesem Drang nachzugehen.
Die Monde versanken, und die Sonne stieg auf. Ihr Licht empfand Wulfgarskint zunächst als unangenehm, denn es erinnerte ihn an jenen Moment, da er gestorben war und das Drachenfeuer ihn verschlungen hatte. Aber dann erkannte er, dass er den Schrecken, den das Aufgehen der Sonne in ihm verursachte, auch nutzen konnte, denn die Erinnerung an das verzehrende, unbarmherzig sengende Drachenfeuer verstärkte den Hass und die Wut in ihm. Und dadurch wuchs seine Kraft.
Vielleicht steckte durchaus Wahrheit in den Gedanken, die der Tod verkündende Ogjyr ihm gesandt hatte. Er musste die Möglichkeiten zu nutzen lernen, die seine Existenz als untoter Dämon ihm bot. Und das bedeutete auch, dass er die mächtigen, zerstörerischen Regungen, die ihn beherrschten, lenken musste.
Wulfgarskint dachte an die Geschichten, die ein Handelsfahrer namens Ramnjolf Silbergier aus Borghorst einst am Lagerfeuer erzählt hatte. Dessen Schiff war auf dem Rückweg von der sturmländischen Küste abgetrieben worden, und er hatte in Winterborg
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