DRACHENERDE - Die Trilogie
hatte sich kaum erhoben, da begann seine Substanz bereits zu verwirbeln. Teile von ihm lösten sich in insektenhaft winzige, dunkle und durcheinander schwirrende Punkte auf, als Rajin die glühende Matana-Klinge zurückschleuderte. Sie durchdrang den sich auflösenden Körper des Schattens, woraufhin ein lauter, lang anhaltender Schrei erklang, der um so deutlicher zu hören war, da die ansonsten in dieser Halle so allgegenwärtige Symphonie der Tausend Winde verstummt war.
Blut spritzte in einer Fontäne aus der Schattengestalt. Blut, glühend wie das Erdinnere. Geschmolzenem Erz gleich tropfte es auf den Boden und brannte sich regelrecht in die Bodenfliesen. Manche Spritzer erreichten sogar den durchsichtigen Sarg, in dem Nya und Rajins ungeborener Sohn ihre hoffentlich nur vorläufige Ruhe gefunden hatten.
Das durchsichtige glasähnliche Material, aus dem der Sarg bestand und in das mit einiger Gewissheit die Magie von Katagis Magierknecht Ubranos eingeflossen war, hatte auf Rajin immer einen nahezu unzerstörbaren Eindruck gemacht. Eine Aura von immanenter Kraft schien den Sarg zu umgeben, von der Rajin ahnte, dass er sie besser nicht durchdringen oder sie in irgendeiner Weise schädigen sollte, wollte er nicht Nya und seinen Sohn in Gefahr bringen. Mochten sie auch bereits dem Tode näher sein als dem Leben und ihre Seelen irgendwo in den Weiten des Polyversum verloren zu gehen drohen, so war vermutlich jede Hoffnung auf die Rückkehr ihrer Seelen hinfällig, wenn ihren Körpern irgendetwas zustieß.
Und zweifellos war es die besondere Aura magischer Kraft, die im Inneren des gläsernen Sargs herrschte, die dafür sorgte, dass Nyas Körper sich nicht verändert hatte, seitdem sie auf diese Weise aufgebahrt worden war.
Das kochende, glühende Blut des Schattens tropfte jedoch durch die gläserne Schicht hindurch. Diese verformte sich dabei zunächst, wölbte sich blasenartig nach außen, so als würde sie sich gegen das Eindringen des Schattenbluts zur Wehr setzen. Doch ihr Widerstand war zwecklos. Zischend fielen die ersten Tropfen auf das weiße Laken, mit dem der Glassarg ausgelegt war, und befleckten es. Das Schattenblut fraß sich regelrecht in den Stoff hinein. Und bildete dabei ein Gas, das Ähnlichkeit mit dem schwarzen Rauch hatte, aus dem der Angreifer hervorgegangen war.
Gleichzeitig erfüllte ein höhnisches, schallendes Gelächter die Halle der Tausend Winde. Es war lauter und dröhnender, als es die Symphonie der Winde selbst bei stärkstem Sturm je gewesen war. Diesen Eindruck jedenfalls hatte Rajin, bis er begriff, dass es sich um eine Gedankenstimme handelte, die da lachte.
„Lass dich nicht täuschen, Rajin! Sonst hast du verloren!“
Nyas Körper bewegte sich und schien nach Luft zu ringen, als das schwarze, rauchartige Gas ihre Nase erreichte. Ein Stöhnen drang dumpf aus dem gläsernen Sarg. Ein Stöhnen, das wenig später in einen Röcheln überging. Ihr Körper zitterte. Sie bäumte sich auf, öffnete die Augen, versuchte sich aufzurichten und drückte ihr Gesicht gegen die glasartige Oberfläche. Die wurde milchig und immer weniger durchsichtig, was offenbar eine Wirkung des Gases war.
„Nya!“, schrie Rajin verzweifelt.
„Lass dich nicht täuschen!“
Aus den Augenwinkeln heraus – vielleicht auch, weil sein Instinkt ihn warnte – bemerkte Rajin einen weiteren Schatten, dessen rauchartige Teilchen soeben durch eine der Säulen hindurchgeglitten waren und dann Substanz annahmen.
Schon blitzte die glühende Matana-Klinge in der Hand des Angreifers, der aus nichts als purer Dunkelheit zu bestehen schien. Er hob das Schwert, und ein platinfarbener, greller Lichtstrahl schoss daraus hervor und erfasste Rajins Metallhand, die daraufhin nur noch ein Herd furchtbarer Schmerzen war. Aber Rajin hatte längst alles an innerer Kraft gesammelt, so wie der weise Liisho es ihm beigebracht hatte und wie es die Drachenreiter-Samurai des Drachenlandes schon seit Äonen praktizierten, allen voran ihr Kaiser.
Mit einer fließenden Bewegung riss Rajin den Drachenstab hervor. Sei das Werkzeug meiner Kraft!, dachte Rajin. Auf alles schien der Schatten gefasst gewesen zu sein – auf einen Angriff mit der Metallhand ebenso wie auf eine Attacke mit Rajins eigenem Matana-Schwert -, nur dass der Drachenkaiser das schwächste seiner Werkzeuge benutzen könnte, schien er nicht in Betracht gezogen zu haben.
Ein einziger Augenblick der Unentschlossenheit, ein kurzer Moment des Abgelenktseins oder
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