DRACHENERDE - Die Trilogie
stellen wagte, und so ließ er ihn gefangen nehmen und in ein Schmachtloch werfen, wo er verhungern sollte. Dort hat man ihn offenbar mehr oder weniger vergessen. Erst drei Jahre später erinnerte man sich seiner, doch man fand in dem Schmachtloch nicht etwa seine Gebeine vor, nein, der Bleiche Einsiedler war noch immer bei bester Gesund. Katagi glaubte zunächst an eine magische Verschwörung und wollte den Gefangenen den düsteren Leidenschaften seines Lord Drachenmeisters überantworten. Aber dazu kam es nicht. Der Hofpriester erfuhr von dem Einsiedler: Niemand könne ohne die Gnade des Unsichtbaren Gottes ein solches Martyrium überleben, behauptete er, darum sei der Einsiedler freizulassen.“
„Ich nehme an, Katagi war klug genug, auf den Rat des Priesters zu hören“, vermutete Rajin.
„Ihm war bewusst, dass sich kein Kaiser in Drachenia an der Macht halten kann, der nicht die Unterstützung der Priesterschaft von Ezkor genießt und dem Volk als Förderer des Glaubens erscheint. Das galt für jemanden wie Katagi ganz besonders, da ihm die Legitimation der Geburt fehlte. So ließ man den Einsiedler frei, man erfüllte ihm sogar den Wunsch, in die Nähe von Kenda gebracht zu werden, und Katagi wies die Kampfmönche an, dem Einsiedler, wann immer er danach verlangte, Zugang zur Kathedrale zu gewähren. Was danach aus ihm wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, doch weiß ich von Hofbeamten und Offizieren, die in der Gegend von Kenda ihren Dienst versahen, dass man sich dort viele Geschichten über den Bleichen Einsiedler erzählt. Wollt Ihr eine der jüngsten hören?“
„Nur zu.“
„Ihr wisst, dass die Zitadelle von Kenda Teil eines der kosmischen Tore ist, durch die Drachen, Magier und Menschen einst diese Welt betraten.“
Der Kaiser nickte. „Abrynos holte durch dieses Tor die Dämonen des Glutreichs in unsere Welt, und die Gase des Glutreichs töteten fast die gesamte Bevölkerung der Umgebung.“
„Bis auf den Bleichen Einsiedler“, erklärte Kam Baslo. „Jedenfalls behauptete ein Offizier der Drachenarmada, ihm danach begegnet zu sein.“
Rajin ließ jenen Offizier zu sich rufen. Sein Name war Wiian Ko Jharan. Er war ein Mann Mitte zwanzig und entstammte einer der angesehensten Familien Drachenias, deren Mitglieder über ungezählte Generationen hinweg zu den Befehlshabern der Kaiserlichen Kriegsdrachen-Armada gehört hatten.
Wiian verneigte sich. „Seid gegrüßt, o Kaiser.“ Seine Familie hatte durch die Machtergreifung des Usurpators Katagi eher Nachteile erlitten, statt irgendwelche zusätzlichen Privilegien zu erlangen. Dennoch hatte sich das Haus Jharan nicht dazu entschließen können, sich der Rebellion gegen den Usurpator anzuschließen. Die Tradition war es, die verhinderte, dass man sich gegen den amtierenden Kaiser stellte, mochte dessen Herrschaft auch als noch so ungerecht empfunden werden.
Unter anderen Umständen wären sie sich wahrscheinlich früher schon sehr häufig begegnet, ging es Rajin durch den Kopf. Schließlich waren er und Wiian Ko Jharan vom Alter her nicht weit voneinander entfernt, und wäre Rajin nicht im Exil unter winterländischen Seemammutjägern aufgewachsen, hätten sie vielleicht in einer der Drachenreiterschulen der Kriegsarmada Übungskämpfe miteinander ausgetragen.
„Man sagte mir, Ihr währt bei Kenda dem Mann begegnet, den man den Bleichen Einsiedler nennt“, sagte Rajin.
Wiian schluckte. „Das ist wahr. Ich befehligte einen Zug Drachenreiter, unmittelbar nach Eurer Kaiserkrönung. Unsere Aufgabe war es, die Ordnung in der Gegend um Kenda wiederherzustellen.“
„Ja, ich erinnere mich“, sagte Rajin. „Der Kommandant Eures Verbandes entstammt ebenfalls Eurer Familie.“
„Mein Onkel Angtan Ko Jharan“, bestätigte Wiian.
„Wärt Ihr in der Lage, mich zu diesem Einsiedler zu führen, Wiian?“
„Ich will es versuchen, o Kaiser. Auch wenn sein genauer Aufenthaltsort nicht bekannt ist, dürfte es nicht allzu schwer sein, ihn aufzuspüren.“
Ein leises Lächeln schlich sich auf Rajins Gesicht. „Ihr klingt so überzeugt.“
„Alles Lebendige in diesem Land ist auffällig, Herr. Denn überall liegen dort noch die verfaulenden Kadaver von Pferdeschafen und die Leichname ihrer Hirten. Die wenigen Bewohner Kendas, die sich in Schiffen vor den giftigen Schwefelwolken in Sicherheit bringen konnten, kehrten zwar inzwischen zum Teil zurück, aber es wird noch Monate, wenn nicht gar Jahre dauern, bis Kenda wieder ein Land des
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