DRACHENERDE - Die Trilogie
dass er sich als Wächter in ein Gespräch zwischen Kaiser und Palastheiler einmischte.
Eesaan aber verzog missbilligend das Gesicht. Dass Rajin diese doch offenkundige Respektlosigkeit einfach hinnahm, konnte der Oberste Palastheiler nicht nachvollziehen.
„Den Bottichen mit den magischen Nährlösungen sind schließlich nicht nur Dreiarmige oder Kampfkäfer entstiegen“, fuhr Koraxxon fort. „Es mag so manche Kreatur darunter sein, die nur zu einem bestimmten Zweck geschaffen wurde. Wobei sich natürlich die Frage stellt, was für ein Zweck das in diesem Fall sein könnte.“
Der Palastheiler ignorierte Koraxxons Einwurf geflissentlich und sagte: „Jedenfalls kann ich Euch keinerlei Hoffnung machen in Hinblick auf den Körper dieser jungen Frau ...“
„Und ihr ungeborenes Kind?“
„Für das Kind besteht ebenfalls keine Aussicht auf Rettung – jedenfalls nicht nach Stand der drachenischen Heilkunst. Aber gewiss gibt es Einzelfälle, die auch für noch so erfahrene Heilkundige nicht erklärbar sind ...“
Rajin erkannte, dass sich Eesaan davor fürchtete, als Verkünder einer schlechten Nachricht dazustehen und dafür vielleicht büßen zu müssen. Unter Katagi schien es Gang und Gäbe gewesen zu sein, dass der Verkünder eine unangenehmen Wahrheit den Kopf verlor, und offenbar hatte sich jeder bei Hofe sehr genau überlegen müssen, wann es besser war, eine solche für sich zu behalten. Diese Scheu, die Rajin bei allen spürte, die im Palast von Drakor ihren Dienst versahen, würde sich wohl erst im Verlauf der Zeit verlieren. Zumindest hoffte dies Rajin, denn er konnte sich keine auch nur einigermaßen funktionierende Herrschaft vorstellen, bei der die Untergebenen wichtige Informationen aus Furcht zurückhielten.
Rajin wandte sich an den Palastpriester, der bisher geschwiegen hatte.
Heran-Gon trug eine Robe mit Kapuze. Um seinen Hals hing eine goldene Kette mit einem Amulett, das ihn als einen von der Kirche Ezkors autorisierten Obersten Palastpriester auswies. Die Machtfülle, die sich mit diesem Amt verband, war im Verlauf der Geschichte höchst unterschiedlich gewesen und hing wohl in erster Linie davon ab, wie empfänglich der jeweilige Herrscher für religiöse Gebote gewesen war. Manchen Amtsvorgängern von Heran-Gon sagte man nach, dass sie die wahren Regenten des Reichs gewesen seien, andere hatten versucht, ihren Einfluss über die Gemahlin des Kaisers auszuüben.
Nach allem, was Rajin inzwischen bekannt war, hatte Heran-Gon unter Katagi so gut wie gar keinen Einfluss gehabt, denn der Usurpator hatte seinem Palastpriester zutiefst misstraut und in erster Linie einen Interessenvertreter der Priesterschaft von Ezkor in ihm gesehen.
„Ich habe Euch herrufen lassen, da Ihr mir als Kundiger erscheint hinsichtlich menschlicher Seelen“, sagte Rajin. „Ich weiß, dass die von Nya und unserem ungeborenen Sohn noch existieren. Ich bin ihnen sogar in vielfältiger, wenn auch nur schwer erklärbarer Weise begegnet und war immer überzeugt davon, dass die Lebenskraft der beiden in ihren Körpern zurückkehren könnte und nur die hinterhältige Magie eines abtrünnigen Magiers sie davon abhält.“
„Die Toten begegnen uns in mannigfacher Form“, sagte Heran-Gon. „In Träumen, Erinnerungen und im ehrenden Gedenken ...“
„Aber was könnt Ihr mir über diese Seele sagen?“, wollte Rajin wissen. „Und welche Wege gibt es, sie zu erreichen?“
Heran-Gon neigte leicht den Kopf. „Auch ich will keine falschen Hoffnungen in Euch wecken, Herr. Wenn Ihr wollt, so spreche ich ein Gebet mit Euch, denn ich bin überzeugt, dass die Seelen Eurer Lieben bereits in den Gefilden des Unsichtbaren Gottes weilen.“
„Ein Gebet?“ Rajin lachte heiser auf. „Nya hat über den Unsichtbaren Gott kaum etwas gewusst, geschweige denn an ihn geglaubt!“
„Der Unsichtbare Gott ist großzügig. Er wacht auch über diejenigen, die seine Macht noch nicht erkannt haben. Seine Kraft durchdringt das ganze Polyversum und ist in allen Dingen und Kreaturen. Wenn wir also ein Gebet sprechen, wird er unsere Bitten nicht von sich weisen, ganz gleich, welchem Aberglauben Eure Gefährtin auch angehangen haben mag. Und was Euren ungeborenen Sohn betrifft, so gilt das natürlich bei ihm umso mehr, denn seine Seele hatte nie die Möglichkeit, sich für den richtigen Weg zu entscheiden.“
Rajins Blick ruhte für eine Weile auf dem gläsernen Sarg. Die Beschädigungen durch das Schattenblut waren nicht zu übersehen,
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