DRACHENERDE - Die Trilogie
schließlich bin ich eine zerrissene Seele, die erst mühsam wieder ein Ganzes werden musste – und das gleich zweimal innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne.“
Rajin ignorierte den Einwurf. Dieser körperlosen Stimme seine eigene Hoffnungslosigkeit einzugestehen, danach stand ihm nun wirklich nicht der Sinn.
Aber die Fragen, die sich ihm aufdrängten, ließen sich vor dem Wesen in der Metallhand nicht verbergen, denn es las ständig seine Gedanken.
„Du überlegst, welchen Sinn es angesichts der kommenden Katastrophe noch macht, sich den Vergessenen Schatten zu stellen.“ Es war keine Vermutung, die das Wesen da äußerte, sondern eine Feststellung.
Ja, antwortete Rajin verknirscht. Denn offenbar war alles sinnlos, was ich bisher tat. Was ändert es am Lauf der Geschichte, dass ich den Urdrachen besiegte, den dritten Drachenring eroberte und die Herrschaft über Drachenia dem unseligen Usurpator Katagi entriss?
„Wäre es wirklich sinnlos gewesen, glaubst du, dein Freund und Mentor, dieser Weise Liisho, von dem ich so viel in deinen Gedanken finde, hätte dich dann zu diesen Taten gedrängt?“
Er scheint von den Berechnungen der Sternenseher nichts gewusst zu haben, dachte Rajin.
„Oder er hat mehr über diese Dinge gewusst als selbst die Zahlenkünstler von Seeborg, die ja wohl auch nicht viel mehr können, als das Chaos vorauszuberechnen, ohne dass sie in der Lage wären, ihm dadurch die Unberechenbarkeit zu nehmen.“
Mir ist nicht nach philosophischen Spekulationen, sandte Rajin dem Wesen in der Metallhand einen gleichermaßen ärgerlichen wie entschiedenen Gedanken.
„Dann vergeude auch nicht deine Zeit damit, dich und deine Welt zu bedauern. Du bist der entscheidende Knotenpunkt im Zeitgefüge, behauptete der Seemannen-Gott. Also tu, was du dir vorgenommen hast, und vertrau darauf, dass es stimmt, was er sagte.“
Njordir musste jedenfalls einen guten Grund gehabt haben, dass er ins Geschehen eingegriffen und Rajin gerettet hatte. Es war unvorstellbar lange her, dass er zuletzt etwas Vergleichbares getan hatte, wenn man den Überlieferungen der Seemannen in diesem Punkt glauben durfte. Nicht einmal der legendäre Held Wulfgar Eishaar von Winterland hatte etwas erlebt, was mit Rajins Errettung vergleichbar gewesen wäre.
Plötzlich glaubte Rajin, die Stimme des Weisen Liisho zu vernehmen, auch wenn diese Worte gewiss nur seiner Einbildung entsprangen. Du wirst die Schatten der Gegenwart nicht besiegen können, wenn du dich nicht zuvor den Vergessenen Schatten der Vergangenheit stellst und sie in die Schranken weist, Rajin. Also ist es richtig, was du tust, und keineswegs sinnlos, so wie es dir angesichts der Mondstürme vielleicht erscheinen mag.
Es war früher Abend, als sich Ghuurrhaan schließlich wieder in die Lüfte erhob. Dennoch - der Drache war so ängstlich, wie Rajin ihn nie zuvor erlebt hatte. Die Kräfte des Schneemonds hatten offenbar einen so nachhaltigen Eindruck auf ihn, dass ihn schon das Hereinbrechen der Nacht zutiefst beunruhigte.
„Seine Seele scheint sehr empfindlich zu sein“, meldete sich die Gedankenstimme der Metallhand. „Empfindlicher, als ich je geglaubt hätte, schließlich galten die Drachen bei uns Magiern immer als ungestüm und grob. Aber offenbar irrt mein Volk in dieser Hinsicht.“
Es scheint nicht jede Seele in gleicher Weise auf die Kräfte des Schneemonds zu reagieren, erkannte Rajin.
„Das mag wohl sein“, gab die Gedankenstimme zu. „Mich haben sie zerrissen, dich nicht. Das Primitive und Einfache überlebt das Komplexe und Hochentwickelte. Ein Gesetz des Polyversums, dem man sich offenbar auch auf dieser Welt nicht entziehen kann.“
In dieser Nacht zog der Schneemond seine verheerende Bahn über eine weit entfernte Region. Er war kleiner als sonst, aber Branagorn widersprach der von Ganjon geäußerten Hoffnung, dass sich der chaotisch torkelnde Himmelskörper wieder von der Oberfläche der Welt entfernt haben könnte. „Er hat nur die Stabilität seiner Bahn verloren“, erläuterte Branagorn und streckte die Hand aus. „Seht nur den Trichter aus Wasser, das er zu sich emporsaugt und um sich sammelt. Es lässt ihn erscheinen wie einen mit einem leichten Gas gefüllten Ballon, wie ich sie bei manchen Erfindern in Feuerheim gesehen habe; sie versuchten mit ihnen das Geheimnis der Gewichtslosigkeit zu enträtseln, um ihre Gerätschaften fliegen zu lassen wie die Luftschiffe der Tajimäer. Irgendwo wütet jetzt ein
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