DRACHENERDE - Die Trilogie
Muster zeigte. Manchmal schien es so, als wären da nur verschiedene Farben und Formen nach ästhetischen Gesichtspunkten zusammengestellt, aber immer wenn man länger auf eine Stelle blickte, erschienen Bilder, sich bewegende Szenen, Gesichter ...
„Fliegt tiefer“, bat Erich von Belden. „Ich will mir das genauer ansehen.“
„Dann bestünde die Gefahr, dass Ihr ein Gefangener des Schicksals werdet“, warnte Kallfaer Eisenhammer. „Der Legende nach erging es so Brajdyr, dem Gott der ewigen Verwandlung, der angeblich der Schöpfer des Kosmos war.“
„Was interessieren mich Eure Heidengötzen! Ich will die Bilder sehen!“, rief Erich von Belden aufgeregt.
„Brajdyrs Schicksal sollte dich durchaus kümmern, ganz gleich, woran du auch immer glauben magst“, ermahnte ihn Kallfaer. „Der Gott der ewigen Verwandlung konnte sich nicht entscheiden, welches seine wahre Gestalt sein sollte. So reiste er zum Jademond, um vom Schicksalsgott Groenjyr Aufschluss darüber zu erhalten, welche Gestalt ihm bestimmt sei. Groenjyr – mit benebeltem Blick und schwankend vor Trunkenheit - sagte, Brajdyr solle selbst auf das Teppichmuster des Schicksals schauen, um dort seine Bestimmung zu erkennen. Brajdyr tat dies und konnte sich vom Anblick des Musters nicht mehr befreien. So erstarrte er zu einem Stein, und Groenjyr sprach: ›Auf diese Weise ist nun klar geworden, welche Gestalt deiner eigentlichen Bestimmung entspricht.‹ Und danach baute er auf diesen Stein sein jadefarbenes Kuppelhaus, in dem er bis heute residiert und seinen Rausch ausschläft.“
„Eine seltsame Geschichte, die Ihr da erzählt“, meinte Erich von Belden.
„Ihr solltet Euch tatsächlich vorsehen“, schärfte ihn Rajin ein. „Der Teppich besteht aus den gleichen beseelten Fäden, mit denen wir vor kurzem erst Bekanntschaft machten.“
„Weil sie den Geist lähmen“, erkannte Erich.
„So ist es. Ihr dürft ihnen nicht verfallen, oder es geschieht genau das, was Kallfaer gesagt hat.“
„Gestattet eine Frage“, verlangte Erich. „Sind diese Fäden etwas Lebendiges?“
„Man könnte es so sehen – ja.“
„Als sie mich fesselten, war mein Geist so gelähmt, dass es mir sogar schwerfiel, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber angenommen, ich hätte mich in den Unsichtbaren Tod verwandelt …“
„Ich weiß nicht, was dann geschehen wäre“, gab Rajin ehrlich zu. „Aber ich glaube nicht, dass für die beseelten Fäden etwas grundsätzlich anderes gilt als für alle anderen beseelten Geschöpfe …“
Bevor Rajin dies weiter ausführen konnte, rief Kallfaer auf einmal: „Vorsicht, Webergesellen!“
Auf dem Muster des Schicksalsteppichs waren die vielbeinigen Wesen deutlich zu erkennen, denn seltsamerweise gelang es ihnen nicht, dessen verschiedenen Farben anzunehmen, während das in anderer Umgebung keinerlei Schwierigkeit für sie darstellte. Sie schnellten über den Teppich hinweg und machten einen sehr beschäftigten Eindruck. Offenbar kontrollierten sie dessen Webmuster und besserten immer wieder kleinere Stellen aus.
„Sie werden uns nichts anhaben“, war Rajin überzeugt.
„Ich habe ihre Netze noch in unangenehmer Erinnerung“, murmelte Erich von Belden. „Und wenn wir weiter in dieser niedrigen Höhe fliegen ...“
„… werden sie uns nichts tun“, vollendete Rajin den Satz.
„Und wie wollt Ihr sie daran hindern?“, fragte Erich von Belden erstaunt.
„Ich lähme die Seelen der Webergesellen“, antwortete Rajin. „Die lassen sind ebenso beeinflussen wie die der Drachen, man muss nur erst begreifen, wie es geht.“ Was er allerdings tun würde, wenn Hunderte von ihnen oder gar Tausende ihn angriffen, wusste auch der ehemalige Drachenkaiser nicht. Doch damit wollte er seine beiden Begleiter nicht beunruhigen.
Je weiter sie dem Teppich folgten, desto zahlreicher wurden die Webergesellen, die sie zu sehen bekamen. Nur ein Teil davon war mit Ausbesserungsarbeiten am Teppich beschäftigt; die meisten lebten in den Waldgebieten zwischen den Windungen, die der Schicksalsteppich nahm. Rajin konzentrierte seine innere Kraft auf sie, aber im Gegensatz zu dem, was ihm Sharash berichtet hatte, schienen sie den fliegenden Drachen mit den drei Personen auf seinem Rücken nicht feindlich gesonnen, sondern beobachteten ihn nur irritiert. Rajin spürte ihre Verwunderung und Verwirrung, doch nicht einer von ihnen schoss einen der beseelten Fäden nach ihnen ab. Vielleicht war ihnen klar, dass Rajin dies sofort
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