DRACHENERDE - Die Trilogie
Es war sehr verschnörkelt und offenbar eine Ligatur mehrerer Buchstaben, deren Sinn Kallfaer nicht begriff. Eine Geheimrune, die offenbar für den Namen jenes Gottes stand, der Wulfgarskint in besonderer Weise hatte nahestehen und ihn beschützen sollen. Manche glaubten, dass die Beistandskraft größer war, wenn der Name der jeweiligen Gottheit in ein solches persönliches Zeichen gefasst wurde, anstatt dass man ihn gleich offenbarte. Aber dazu gab es unterschiedliche Ansichten.
Aber wer auch immer der Gott sein mochte, der zu Wulfgarskints Schutzpatron erkoren worden war – er hatte offensichtlich versagt und war es Kallfaers Meinung nach nicht wert, dass man sein Zeichen entschlüsselte und den Namen noch einmal in ehrender Weise aussprach.
Kallfaer steckte die Mantelspange ein und wandte sich in Richtung des toten Wulfgars. Die Tatsache, dass auch Wulfgar ein Kind verloren hatte, versöhnte Kallfaer endgültig mit dem Ahnen Wulfgar Eishaars – auch wenn dieser den Fluchbringer aufgezogen hatte, der wahrscheinlich allein durch seine Existenz all dieses Unglück über Winterborg gebracht hatte.
Dennoch – in diesen Augenblicken fühlte Kallfaer in erste Linie eine tiefe Gemeinsamkeit. „Ich werde für uns beide Rache an den Dracheniern üben, Wulfgar Wulfgarssohn!“, versprach er.
Kallfaer sah sich nach einer Riesenschneeratte um. Ein paar der Tiere hielten sich noch in einiger Entfernung auf. Sie warteten wohl darauf, dass jemand sie einfing oder ihr Besitzer sie mit seinem Pfiff zu sich rief. Von allein trauten sie sich nicht zurück, aber sie hatten auch Angst, sich in die Eiswüsten des Inlands abzusetzen. Schließlich waren sie daran gewöhnt, dass man sich um sie kümmerte und dass sie regelmäßig versorgt wurden. Es war fraglich, ob sie zu einem auf sich gestellten Leben in der Wildnis überhaupt noch fähig waren.
Kallfaer holte eine fingergroße Flöte aus Seemammutzahn hervor und erzeugte damit einen schrillen Ton. Die Tiere schienen regelrecht darauf gewartet zu haben, denn ein gutes Dutzend von ihnen lief sofort ungestüm in seine Richtung, doch sie kehrten nicht zu den Pferchen zurück. Ungefähr hundert Schritte von Kallfaer entfernt blieben die Mutigsten stehen. Manche scheuten bereits vorher zurück, verlangsamten erst das Tempo und hielten dann inne. Sie stießen ein lautes Fiepen aus, das sehr ängstlich klang und in einem krassen Missverhältnis zur Größe und Kraft dieser Tiere stand.
Die Aura des Todes war offenbar sehr mächtig an diesem Ort …
Kallfaer pfiff noch einmal mit seiner Zahnflöte, diesmal energischer. Aber die Tiere waren einfach nicht dazu zu bewegen, sich weiter zu nähern. Wie zuvor schon die Eismöwen, die an der „Vergeblichen Friedensgabe“ ihr aasiges Leichenmahl verschmäht hatten, so war es auch den Riesenschneeratten einfach nicht möglich, zu ihren Pferchen zurückzukehren.
So suchte Kallfaer sich einen Sattel, der bei den Pferchen zurückgeblieben war, und trug ihn zu den Tieren. Dann suchte er sich ein besonders kräftiges Tier aus, von dem er zudem wusste, dass es auch ausgezeichnet gehorchte, und sattelte es. Wenig später kletterte er auf den Rücken der Riesenschneeratte und trieb sie voran.
Sein Ziel war Oriks Hof.
Und damit er nicht mit leeren Händen dort ankam, beschloss er, die restlichen Riesenschneeratten mitzunehmen. Man hatte auf Oriks Hof gewiss nichts dagegen einzuwenden, wenn die dortige Herde etwas vergrößert wurde – und in Winterborg gab es niemanden mehr, der die Tiere noch gebraucht hätte.
Kallfaer drehte sich noch einmal im Sattel um. Ein letzter, schmerzhafter Blick zurück auf jenen Ort, der einmal Winterborg gewesen war. Mochten die Götter den Kaiser Drachenias strafen für das, was er den Seemannen angetan hatte …
Die Vögel an der „Vergeblichen Friedensgabe“ wurden immer unruhiger. Es ließen sich noch weitere Schwärme bei ihnen nieder, die von weither kamen und sich wohl erhofften, an diesem letzten Festmahl, das ihnen in Winterborg bereitet wurde, teilhaben zu können. Manche dieser Schwärme versuchten zunächst, an anderer Stelle zu landen, schreckten jedoch wieder empor. Die Aura, die über dem Ort lag, hielt sie davon ab, zu tun, wofür die Götter sie als Aasfresser geschaffen hatten.
Bis zum Abend wuchs die Schar der gefiederten Tiere immer mehr an. Die ängstliche Stille war längst einem Konzert wütender, ungeduldiger Vogelstimmen gewichen.
Als aber die Sonne endlich versank und die
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