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DRACHENERDE - Die Trilogie

DRACHENERDE - Die Trilogie

Titel: DRACHENERDE - Die Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Abstimmungsverhalten mit den Händlern auch bis zu Oriks Hof gelangt war.
    Dennoch meinte er hoffen zu dürfen, dass Orik den aus seiner Sicht vielleicht gerechtfertigten Zorn gegen Kallfaer zügeln konnte, denn schließlich mussten sich alle Seemannen der Gefahr durch die drachenische Kriegsdrachenarmada entgegenstellen.
    Kallfaer musste Oriks Hof erreichen. Sein Entschluss stand fest. So sah er sich im Hafen nach einer Barkasse um, die noch einigermaßen seetüchtig war oder die sich zumindest mit geringem Aufwand notdürftig reparieren ließ.
    Aber die Drachenier hatten ihren Vernichtungsschlag mit aller Gründlichkeit geführt. Nur verkohlte Wracks lagen noch am Ufer. Die Barkassen waren ebenfalls zerstört. Manche hatten die Drachenier brennend hinaus in die Bucht treiben lassen, und die Ebbe hatte sie fortgezogen. Sie waren unerreichbar.
    Aber noch etwas anderes fiel Kallfaer auf: An dem Felsen, den man die „Vergebliche Friedensgabe“ nannte, kauerten Tausende von Eismöwen. Sie kreischten nicht, wie es sonst ihre Art war. Sie bewegten nicht einmal die Flügel. Nur etwa ein Dutzend Schritt entfernt lagen ein paar im Kampf gefallene Tote beider Seiten. Aber keiner der Vögel wagte es, sich an den Leichen gütlich zu tun.
    Hin und wieder machte einer von ihnen ein paar Schritte voran, auf die Leichen zu, nur um sogleich wieder zurückzuweichen.
    Kallfaer schluckte. Der Legende nach ließen die Eismöwen stets dem Totengott Ogjyr den Vortritt und stürzten sich erst dann auf die Toten, wenn der Herr des Augenmonds die Seelen von den Leibern getrennt hatte. Ogjyr musste noch da sein, und seine Aura hielt die gefiederten Aasfresser zurück. Anders war es für Kallfaer nicht erklärbar, dass die Eismöwen sich nicht an die Toten heranwagten und so furchtsam an der „Vergeblichen Friedensgabe“ kauerten.
    Kallfaer ließ einen letzten Blick über den Hafen und die zerstörten Schiffe schweifen. Es wurde Zeit, dass er sich von diesem Ort des Todes entfernte. Vielleicht lebte er nur noch deshalb, weil Ogjyr noch nicht dazu gekommen war, seine Seele vom Körper zu trennen, weil in den Ruinen von Winterborg so viel dieser grausamen Arbeit zu verrichten war, dass es selbst den Herrn des Augenmonds überforderte. Kallfaer hatte nicht die Absicht, dem Todverkünder die Gelegenheit zu geben, das Versäumte bei ihm nachzuholen.
    Er erreichte die Pferche der Riesenschneeratten. Dort lag der gefallene Wulfgar Wulfgarssohn. Viel mochte den Schmied in letzter Zeit von dem Urahnen des großen Wulfgar Eishaars getrennt haben, aber in diesem Augenblick empfand er nur noch Trauer und Wut darüber, ihn so daliegen zu sehen.
    Bei den Pferchen waren vom Drachenfeuer versengte sterbliche Überreste zu finden, die nicht allein von einem Menschen stammen konnten. Ein beklemmendes Gefühl ergriff von Kallfaer Besitz. Er konnte kaum atmen. Überall sonst hatte er sich die Toten genau angesehen und nach Spuren gesucht – aber an diesem Ort gelang es ihm nicht. Er schien gerade die Pferche zunächst instinktiv gemieden zu haben, wofür er keine rechte Erklärung fand. Doch dann erinnerte er sich an die Vögel an der „Vergeblichen Friedensgabe“.
    Ogjyr …
    Den Aasvögeln sagte man einen sehr feinen Sinn nach, mit dem sie den Todverkünder spüren konnten. Dieser Sinn war bei den Menschen vielleicht nur etwas weniger ausgeprägt, was für die Seemannen in ganz besonderer Weise gelten musste – wie sonst wäre ihre besondere Risikobereitschaft im Kampf gegen die stürmische See und die gefährlichen Seemammuts zu erklären gewesen?
    Wir glauben, dass wir den Tod verachten – in Wirklichkeit sehen wir ihn vielleicht nur nicht, dachte Kallfaer schaudernd. Aber jetzt, in diesem Moment, musste er in der Nähe sein. Kallfaer spürte es im tiefsten Inneren seiner Seele und mit jeder Faser seines Körpers. Glaub ja nicht, dass du mit mir einen Handel schließen kannst, Ogjyr, dachte er grimmig. In Njordirs nassem Reich werde ich einst Ruhe finden, aber ich denke nicht daran, dir die Langeweile auf deinem tristen Mond zu vertreiben!
    In der Asche fand Kallfaer eine verrußte Mantelspange. Die Runen darauf verrieten, wer an dieser Stelle – womöglich auf einer Riesenschneeratte reitend – ein Opfer des Drachenfeuers geworden war.
    Wulfgarskint Wulfgarssohn, Liebling eines Gottes und der Ahnen, stand dort in der seemannischen Runenschrift.
    Hinter dem Wort »Gott« befand sich ein Zeichen, das nicht zum Runenalphabet des Seereichs gehörte.

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