Drachenflamme: Roman (German Edition)
Kulingile hatte am Abend zuvor beinahe das Vierfache von Caesars Portion gefuttert und stand ihm mittlerweile in der Körpergröße kaum noch nach. Tharunka hingegen war natürlich noch sehr klein, vertrat aber die sehr berechtigte Auffassung, dass der Pavillon wohl am ehesten ihr gehöre. Schließlich befände man sich in ihrem Land, und deshalb habe sie Anspruch auf den besten Platz.
»Ich verstehe nicht, warum ihr alle einen solchen Wirbel machen müsst«, sagte Iskierka ungeduldig. »Seht nur, sie holen Platten heraus. Auf der da könnte eine ganze Kuh liegen.«
»Oh, oh! Wie wunderbar!«, rief Temeraire. Die Servierplatte war mit einem großen Phönix in gelber und grüner Farbe bemalt. Obwohl es wirklich ein schrecklicher Verlust gewesen wäre, wenn sie in irgendeiner Weise Schaden genommen hätte, fragte sich Temeraire hoffnungsvoll, ob die Farbe durch das Salzwasser nicht vielleicht ein wenig verblasst sei. Möglicherweise entschied man sich ja, dass die Platte so nicht mehr zu verkaufen sei und deshalb auch gleich zur Seite gelegt werden könne.
»Es reicht jetzt«, mischte Temeraire sich schließlich in die Streitigkeiten der anderen Drachen ein und wandte den Kopf. »Tharunka, komm her und setz dich hier oben auf die Stufen zwischen Iskierka und mich; und Kulingile, du kannst auf meinem Rücken sitzen, wenn du nicht mehr schwebst.«
»Was ich übrigens sehr begrüßen würde«, fügte Iskierka hinzu.
»Ich weiß einfach nicht, was das soll, und es sieht wirklich sehr merkwürdig aus.«
»Auch wenn du nicht mehr schwebst, bist du immer noch sehr leicht. Man merkt es kaum, wenn du auf einem sitzt«, fuhr Temeraire fort. »Und zu dir, Caesar: Es gibt keinen Grund, warum du nicht auf die andere Seite neben Iskierka passen solltest, wenn ich mich ein bisschen drehe. Wenn Iskierka sich ein wenig zurücklehnt, kann Kulingile ebenfalls gut sehen. Ich finde aber, es ist wirklich an der Zeit, dass du aufhörst, so zu tun, als würde Kulingile nicht größer werden als du.«
Nachdem so der Friede wiederhergestellt worden war, konnten sie alle den Rest des Spektakels genießen, das sich vor ihren Augen abspielte. Es gab sogar einige Platten, deren Ränder mit Gold besetzt waren, sodass sie im Sonnenlicht glänzten. Angesichts dieser Pracht störte sich Temeraire nicht einmal daran, dass Iskierka seufzte und aufgeregt Dampf aus ihren Stacheln ausstieß. Man konnte ihr wirklich keinen Vorwurf machen.
»Ich hätte gern ein ganzes Service«, sagte sie. »Dann würde ich jeden Tag davon essen.«
»Mir käme es ja unangebracht vor, eines dieser Stücke schmutzig zu machen«, erklärte Tharunka, und Temeraire schloss sich ihr an. Iskierka aber wies darauf hin, dass die Platte schließlich zuerst sauber sein würde. Und sobald man sein Essen verzehrt hätte, würde sie gesäubert werden und wäre wieder blitzblank. Auf diese Weise hätte man jeden Tag aufs Neue die Freude, dabei zuzusehen, wie sie geputzt würde, und außerdem würde man das Muster darauf beim Essen Stückchen für Stückchen freilegen.
Temeraire erschien das beinahe genusssüchtig, aber letzten Endes waren die Platten natürlich für ebendiesen Zweck gedacht, weshalb man sie wohl auch tatsächlich benutzen sollte, solange man darauf achtete, dass sie nicht zerbrachen.
Endlich waren alle Platten und Teller trocken und wurden wieder eingepackt, diesmal allerdings in ganz gewöhnliche Kisten. Wahrscheinlich würden sie nach Holland verschifft werden, jedenfalls nahm der niederländische Kapitän sie mit sich. Vorausgegangen war eine hitzige Unterredung mit einem der Beamten, der einige Male in seinen Unterlagen nachgesehen und den Kopf geschüttelt hatte, ehe man schließlich zu einer Einigung gekommen war. Eine der verschlossenen Kisten, die im Pavillon aufbewahrt worden waren, wurde geöffnet, und, oh: Sie war bis zum Rand mit Goldbarren gefüllt! Zehn davon wurden sorgsam abgezählt und dann von einem Beamten einzeln in Papier gehüllt, auf das ein anderer mithilfe eines Tintenfasses und eines Pinsels große Schriftzeichen malte.
»Was steht da?«, fragte Iskierka, die sich ganz umsonst den Hals verrenkte, da sie ja nicht einmal auf Englisch auch nur ein einziges Wort lesen konnte.
»Es ist ein Name«, antwortete Temeraire, der ein wenig die Augen zusammenkniff. »Er bedeutet Das Haus von Jing Du . Vermutlich ist das ein Kaufmann. Und dann steht da noch, dass dies der dritte von zehn Barren der Bezahlung für eine Schiffsladung von
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