Drachenflamme: Roman (German Edition)
große Mühe, ihn dazu zu bringen, die Sache als noch keineswegs in trockenen Tüchern anzusehen. Temeraire war eher geneigt, Pläne für die Verwendung seines zukünftigen Vermögens zu schmieden. »Du kannst doch wohl nicht lieber hierbleiben wollen?«, fragte er ungläubig. »Natürlich ist es nicht so, dass hier etwas nicht in Ordnung wäre«, fügte er wenig überzeugend hinzu.
Die Morgenstunden und die frühen Abende waren inzwischen die einzigen halbwegs erträglichen Zeiten des Tages, und Laurence und Temeraire hatten damit begonnen, sie durch frühes Aufstehen und lange Nächte weiter auszudehnen. Die Sonne war gerade über dem Hafen aufgegangen und ergoss ihr Licht üppig über das Wasser bis in alle Buchten, sodass diese sich blendend weiß vor den dunklen Hängen des Landes abzeichneten, welche sich schwarzgrün und schweigend dahinter erhoben. Temeraire hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Dies war zwar noch nicht besorgniserregend, wenn man seine Tatenlosigkeit berücksichtigte, aber Laurence fürchtete, Temeraires Appetitlosigkeit rühre eher von einer heimlichen Abscheu gegenüber seinen Mahlzeiten her. Dies war die bedauernswerte Konsequenz aus der Tatsache, dass Temeraire einen erlesenen Geschmack entwickelt hatte, was für einen Mann des Militärs eine große Gefahr bedeutete … Und schon war Laurence einmal mehr gezwungen, sich daran zu erinnern, dass keiner von ihnen noch dem Militär angehörte. Doch auch so war es von Vorteil, über einen robusten Magen zu verfügen. Er selber, der in den hungrigsten Jahren seines Lebens auf Schiffsrationen angewiesen gewesen war, konnte
sich ewig von Zwieback und gepökeltem Fleisch ernähren, auch wenn er später nicht oft solchen Bedingungen ausgesetzt gewesen war. Temeraire hingegen hatte zu früh in seinem Leben den Gaumen eines Feinschmeckers entwickelt, und Gong Su hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um ihn auch hier zufriedenzustellen. Doch er hatte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass man ein Tier, das nur Wildwuchs zum Grasen hatte, vor allem aus Knochen und Sehnen bestand und eine anatomische Merkwürdigkeit war, nicht in ein fettes, zartes Stück Rindfleisch verwandeln konnte. Laurence dachte darüber nach, ob es seine Finanzen erlaubten, wenigstens als Leckerbissen ein wenig Vieh zu erwerben.
»Da kommt Caesars Frühstück«, bemerkte Temeraire mit einem Seufzen, als das klagende Muhen einer Kuh vom Fuße des Hügels aus zu ihnen emporgeweht wurde. Doch als das Tier von einem kaum weniger zögerlichen jungen Burschen heraufgebracht worden war, stellte sich heraus, dass es nicht für Caesar gedacht war, sondern für Laurence und Temeraire, und zwar mit den besten Wünschen von Mr. MacArthur, und für Laurence war eine Einladung zum Abendessen dabei.
»Ich frage mich, was der Grund für eine solche Geste ist«, sagte Laurence, dem das Ganze gar nicht gefiel. Es war eine Sache, wenn MacArthur selbst zum Stützpunkt kam, der – so wenig legitimiert er nach dem Gesetz auch sein mochte –, doch von Natur aus ein offizieller Außenposten war. Es war aber etwas ganz anderes, Laurence in sein Haus einzuladen und zwar in eine gemischte Gesellschaft, für die vermutlich seine Frau verantwortlich war. »Das frage ich mich wirklich.« Leise fügte er hinzu: »Vielleicht hat er von Rankins Interesse an Blighs Fall gehört; das würde sogar für diesen Versuch Motiv genug sein.«
»Hm«, stieß Temeraire undeutlich hervor und kaute auf einem mächtigen Hinterlaufknochen herum. Seine Aufmerksamkeit war völlig von Gong Sus leidenschaftlichen Kochkünsten in Beschlag
genommen. Die Kuh war geschlachtet und mit allem grünen Gemüse, das einer genaueren Prüfung standgehalten hatte, sowie einigen gemahlenen Weizenkörnern zubereitet worden. Selbst Caesar hatte blinzelnd ein Auge geöffnet und sah mit unverhohlenem Interesse zu.
Sie waren zu angenehm später Stunde eingeladen worden, sodass sie, bis die Hitze des Tages nachgelassen hatte, warten und kurz vor der einsetzenden Dämmerung aufbrechen konnten. Nachdem Temeraire seine wunderbare Mahlzeit genossen hatte, trug er Laurence in das weiche, immer noch ungebrochene Blau des Himmels hinauf. Auch an diesem Tag zeigten sich von morgens bis abends keine Wolken. Was auf dem Pferderücken ein Ritt von einer Stunde durch die wilde Landschaft gewesen wäre, war ein angenehmer Flug von nur zehn Minuten an Bord eines Drachen, und neben dem Haus gab es ein breites, brachliegendes Feld,
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