Drachenflamme: Roman (German Edition)
vorher freien Zugang zum Rum gewähren darf.« Er erhob sich, ging zu Caesars Kopf und legte sich neben sein Tier, um zu schlafen.
»Ich bin nicht gerne grob«, sagte Granby zu Laurence, »aber ich wäre es gerne geworden.« Das war ein Gefühl, das Laurence teilte. Er kam nicht dagegen an, sich mit einigem Unbehagen die Aussicht auf lange Jahre in der Kolonie auszumalen, mit Rankin als dem dienstälteren Kapitän und mit der Unterstützung durch dessen Militärrang und mit dem Einfluss seiner Familie in England. Das alles sprach nicht gerade für eine angenehme oder ruhige Zukunft.
Doch was für wilde Fantasien Rankin auch immer hegen mochte, sie hatten nichts mit ihrer augenblicklichen Lage zu tun. Am Morgen würden sie Wasser finden müssen, oder die Drachen würden
verenden. Eine weitere Strecke, während die Sonne so hoch stand, in dieser unerträglichen Hitze, ohne jede Erleichterung, würde sie zu sehr erschöpfen, um auch nur eine kurze Entfernung zurückzulegen. »Wenn wir vor dem Mittag nichts finden«, sagte Laurence, »dann müssen wir versuchen, einen richtigen Brunnen zu graben. Vielleicht können wir die Ränder mit Baumrinde sichern und das Loch so breit machen, dass wir zum Graben hineinsteigen können.«
Granby nickte knapp. Über die Alternative mussten sie nicht reden.
Sie trennten sich, um neben ihrem jeweiligen Drachen zu nächtigen, doch bei Laurence wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Er war nicht müde genug, nachdem er sich halb unfreiwillig während der größten Hitze des Tages so lange ausgeruht hatte. Stattdessen saß er neben Temeraires Maul, wo die Hitze, die von seinem restlichen Körper ausging, nicht ganz so stark zu spüren war. Die Nachtluft war noch immer dick, stickig und heiß. Endlich ging der Mond auf und schien hinter einem dünnen Wolkenschleier, sodass er von einem perlengrau und weiß schimmernden Hof umgeben war.
Es war seltsam, sich in diesem tiefgrünen, hoch aufragenden Wald zu befinden, wo der Boden unter ihren Händen weich und schwer war, und doch so verzweifelt durstig zu sein, obschon offenkundig Wasser im Überfluss irgendwo in der Nähe sein musste. Es hatte etwas von einer wohl ersonnenen Folter an sich. Laurence war nicht abergläubisch, und auch jetzt waren ihm solche Gedanken fremd, doch es fühlte sich nicht falsch an, sich bewusst zu machen, wie wenig sie in dieses Land gehörten und wie wenig sie diesen Ort verstanden.
Am nächsten Morgen hörte er, wie Jack Telly den anderen leise zuflüsterte: »Sie sagen, dass man von der anderen Seite der Berge aus
bis nach China kommen kann und dass man Arbeit auf einem Handelsschiff bekommt, das einen zurück nach England bringt, wenn man das möchte. Ich habe mit einem Burschen gesprochen, der es vor einem Jahr die Berge hoch und zurück nach England geschafft hat.«
»Eine schöne Vorstellung, findest du nicht?«, sagte Tharkay zu Laurence. Er hatte sich zu ihm gesellt und sich neben ihn gesetzt.
»Hast du das vorher schon mal gehört?«, fragte Laurence.
Tharkay nickte. »Das ist eine beliebte Geschichte im Hafen und wird umso wahrscheinlicher, wenn man an all die Waren denkt, die ankommen. Auch wenn ich glaube, dass sie sich eher etwas wie Xanadu als wie Kanton vorstellen.«
Die Verurteilten waren alle eng zusammengerückt, obwohl die Nacht so heiß war. Laurence glaubte, dass das Gefühl von Niedergeschlagenheit und Fremdsein an diesem Ort dafür verantwortlich sein mochte, welches sie umso mehr empfinden mussten, als sie ja so unfreiwillig in dieses Land geschafft worden waren. Er und Temeraire hatten es sich immerhin ausgesucht, hierherzukommen, wenn auch unter großem Druck und mit wenigen – wenn überhaupt – Alternativen in Aussicht. Aber sie waren nicht mit Bajonetten und Musketen in das wartende Maul des Transporters getrieben worden, um als unerwünschte Fracht um die halbe Welt geschifft zu werden, während sie nur ab und an einen Blick auf das Meer und den Himmel werfen durften und kaum ein Gefühl dafür entwickeln konnten, wie viel Zeit vergangen war und welche Strecke sie schon zurückgelegt hatten. Da war es kein Wunder, dass sie Vorstellungen entwickelten, die wenig mit der wahren Welt zu tun hatten.
Sie wechselten sich damit ab, Green einige Wassertropfen aus dem Taschentuch in den Mund zu träufeln und ihm Luft zuzufächeln, obwohl sie einen beinahe zufriedenen Pessimismus ausstrahlten.
»Er wird sicher sterben, und er wird nicht der letzte Mann von
uns sein,
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