Drachenfluch1: Zauberschmiedekunst (German Edition)
geworden sind. Zauberschmiede sind gefährliche Geschöpfe von kaum zu unterschätzender Macht.“
Aus: „Jenseits des Schlundes: Von den Zauberwesen“, von Hatura Fanjatochter, Gelehrte und Priesterin des Jaliltempels zu Tarbas ; im Jahre 759 nach Harans Krönung
Wo bin ich?, dachte Jiru. Er fühlte sich zu schwach, um die Lider zu öffnen. Sein gesamter Körper war taub und schien nicht wirklich zu ihm zu gehören.
„Der Gefangene regt sich, Herr.“
Eine weibliche Stimme. Demütig und leise mit dem singenden Akzent der Westwindländer. Gewiss eine Sklavin. Nur die reichsten und mächtigsten Herrscher konnten sich noch Sklaven leisten, seit die Matriarchin von Cha’ari Fürst Antul im Krieg besiegt und die Raubzüge auf ihr Volk unterbunden hatte. Sie hatte Karsland nicht besetzt, lediglich die einzige sichere Passage über den Schlund zerstört, der die Grenze bildete. Ein Abgrund war das, maß an der breitesten Stelle mehrere Meilen; wie tief der Schlund war, darüber gab es endlose Gerüchte und kein gesichertes Wissen. Er durchschnitt das Karsland vom äußersten Westen bis hoch in den Norden. Der Krieg zwischen den Westwindländern und Karsland war kurz vor Jirus Geburt beendet worden seither wurde seine Heimat nicht mehr in Kriegsgeschehen verwickelt. Und dennoch gab es bis zum heutigen Tage Krüppel und verstümmelte Opfer dieses Kampfes, der über vierzig Jahre und unter wechselnden Herrschern auf beiden Seiten mit aller Härte geführt worden war. Vor rund zehn Jahren hatte es neue Streitigkeiten mit den Westwindländern gegeben, die zu den bis heute anhaltenden Handelsbeschränkungen durch die Matriarchin geführt hatten. Da Karsland regelrecht isoliert wurde, konnten die Händler nicht mehr ihren gewohnten Routen folgen, wodurch viele – ähnlich wie Jirus Familie – verarmten.
„Mein Freund, es wird Zeit, die Traumnetze zu verlassen, meinst du nicht?“
Jiru spürte, wie ihn jemand am Arm berührte und zuckte zusammen. Das löste eine Schmerzflut aus, die in Wellen durch seinen gesamten Körper ging. Stöhnend krümmte Jiru sich zusammen, der Schmerz war so intensiv, dass er nicht einmal schreien konnte.
„Sollte er nicht besser etwas dagegen erhalten?“, fragte die Sklavin an Jirus Seite.
„Nein, er muss bei Verstand sein und ich will nicht noch einmal zwei Tage und eine Nacht warten, bis er zu sich kommt. Seine Verletzungen waren schwerer als zunächst gedacht, sonst hätte ich ihn nicht über das Aquädukt hergeschafft.“
„Aber er wird überleben, Herr?“
„Zweifle nicht an meiner Zauberschmiedekunst, mein Liebstes, er wird ohne Schaden durchkommen.“
Callin von Berken. Jiru erinnerte sich plötzlich, was vor seiner Bewusstlosigkeit geschehen war. Hatte der Zauberschmied ihn tatsächlich in seiner Gewalt? Widerwillig öffnete er die Augen. Zunächst war alles verschwommen, dann konnte er Schatten unterscheiden und schließlich wurde seine Sicht klar. Er lag in einem Bett von grotesken Ausmaßen, inmitten von seidenen Kissen und Laken, umgeben von verschwenderischem Luxus aller Art. Die Matratze unter ihm war auf genau die richtige Weise weich, sicherlich hatte man sie mit Wolle von den nordländischen Bergschafen gestopft – das war die teuerste Variante, die er kannte. Das erhöhte hölzerne Kopfteil, auf dem er ruhte, mit Kissen gepolstert, wies wunderschöne Schnitzereien auf, soweit es erkennbar war. Die halb durchsichtigen Seidenvorhänge des Bettes waren beiseite gezogen und gaben den Blick frei in den übervollen Raum. Jiru konnte all den goldglänzenden Zierrat und die Unzahl an sinnlosen Gegenständen um sich herum nicht fassen. Vermutlich hätte je eine einzige dieser Jadefiguren, Statuen und Schmuck genügt, um ihn ein Jahr lang vor dem Hungertod zu bewahren. Da er kaum wusste, wohin er sehen durfte, um nicht von all dem Glitzern und Glimmen überwältigt zu werden, schloss er die Lider vorsichtig.
„Missfällt dir deine Unterkunft? Es ist lediglich ein Gästezimmer, ich hoffe, du verzeihst mir die einfache Einrichtung.“ Jemand setzte sich neben Jiru nieder und berührte ihn am Arm, was ihn dazu zwang, hastig die Lider aufzureißen. Es war Callin, der dicht bei ihm hockte. Viel zu dicht für seinen Geschmack, zumal ihm in diesem Moment bewusst wurde, dass er vollkommen nackt war und keine Decke seine Scham verhüllte. Zwar lag er auf der Seite und präsentierte sich dadurch weniger schutzlos, dennoch empfand er diese Situation als bedrohlich. Vor allem, da
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