Drachenfluch1: Zauberschmiedekunst (German Edition)
gefoltert zu werden. Dieser Anblick ließ ihn nicht unberührt, obwohl er alles getan hatte, um Mitgefühl zu vermeiden. Es half niemanden, wenn er das Leid dieses schuldlosen Opfers an sich heranließ. Doch niemand, der ein Herz besaß, hätte in diesem Moment unbewegt bleiben können. Beinahe gewaltsam riss Ilajas sich los und stand auf – wann hatte er Jirus kalte, zittrige Hände umfasst? Wieso bedauerte er es sofort, das Bild von perlmuttweißen Fingern, die mit seinen dunkleren verschränkt waren, zerstört zu haben?
Er ist ein dem Tod geweihter Sklave, nichts als ein Sklave, ohne Bedeutung oder Wert, mach dass du raus kommst!
„Warte!“ Die heisere, kaum hörbare Stimme hielt ihn zurück. „Wie heißt du?“
„Ist das wichtig?“ Er wollte gehen, den Käfig verriegeln, sich in Sicherheit bringen. Aber er spürte Jirus Blick in seinem Rücken. Es gab keinen Grund, ihm dieses Wissen zu verweigern, diese kleine Geste von Vertrautheit und Menschlichkeit, die Jiru vermutlich ersehnte. „Ilajas“, flüsterte er aufgewühlt.
Als er die Eisenstäbe berührte, brach der Bann von unkontrollierbaren Empfindungen. Misstrauisch starrte er auf die zusammengekauerte Gestalt dort am Boden nieder. Beherrschte dieser Wicht etwa irgendeine Form von Magie?
Sei nicht albern!, schalt er sich selbst. Das dort ist immer noch nichts als ein verängstigter, gefolterter Sklave, der bald sterben wird.
„Ein wirklich hübscher Sklave, Ilajas, vergiss das nicht. Und nein, der Kleine besitzt keinerlei Macht. Nicht einmal über sich selbst. Er hat dein weiches Herz gerührt, das ist alles.“
Ilajas schloss ihn ein, der Weg zur Sicherheit war frei. Sein Blick fiel auf ein niedriges Schränkchen, in dem Yaris verschiedene Zaubertränke aufbewahrte. Es war mit zerlumpten Stoff zugedeckt, als Schutz vor Licht und Staub. Einer spontanen Regung folgend riss er den Lumpen herab, schüttelte ihn kurz aus und warf ihn dann schweigend in den Käfig. Jiru hüllte sich sofort darin ein, es war nicht zu übersehen, wie sehr er fror. Wie dankbar er Ilajas war.
Nur raus hier!, ermahnte Ilajas sich selbst und strebte eilig zur Tür. Halb erwartete er, von einem neuerlichen Ruf zurückgehalten zu werden, doch Jiru blieb still. Es ärgerte Ilajas, dass ein Teil von ihm darüber enttäuscht war…
„Einst waren Männer und Frauen der Zauberschmiede ein geeintes Volk, doch seit viel zu langer Zeit liegt ein Fluch über uns. So können Frauen nur ihren Töchtern die Gabe schenken, Männer nur ihren Söhnen, und miteinander können sie keinerlei Kinder zeugen. Über kurz oder lang werden sie ausgerottet werden.
Zur Lösung des Fluches bräuchte es einen Mann, den normalen Menschen geboren, der von zwei männlichen Schmieden zugleich gebunden wurde. Er allein könnte die geistige Essenz seiner Herren vererben. Doch einen solchen Mann kann es nicht geben, denn es ist nicht möglich, einen Menschen zwei Mal der Bindungsprägung zu unterwerfen.
Aus einem titellosen Dokument, Verfasser und Datum unbekannt, aufbewahrt in der Enzyklopädie der Zauberschmiedekünste
„Herrin?“
Kilaja drehte sich ungehalten um und starrte den Diener an, der vor ihr auf den Knien lag.
„Vergebt die Störung, Herrin, aber wir waren in Sorge – Ihr wart fast zwei Tage lang nicht aufzufinden.“
Verwirrt blickte sie auf die Chronik in ihren Händen nieder, die sie gerade hatte aufschlagen wollen. Zwei Tage? Sie war müde und hungrig, aber müsste ihre Blase nicht überfüllt sein? Müsste sie nicht völlig erschöpft sein?
Also ist es wahr …
Es gab Gerüchte darüber, dass in der Unterwelt die Zeit ein wenig anders verlief, Kilaja hatte bei ihren bisherigen Ausflügen dorthin nie etwas Derartiges festgestellt. Allerdings war sie auch nie bis zum Ende der Treppe gelangt, stets hatte sie vorher der Mut verlassen.
„Ich bin wohlauf“, versicherte sie mit leisem Zittern in der Stimme. „Bereite mir ein Bad und ein leichtes Mahl. Ich habe etwas vollbringen müssen, von dem das Wohl von Cha’ari abhängen könnte … Geh jetzt!“
Der Diener kroch auf den Knien hinaus. So unterwürfig gebärdeten sich selbst ihre Sklaven selten, es musste demnach erheblicher Aufruhr im Palast geherrscht haben. Sie ließ sich zwar wie ihre Ahninnen zuvor als halbgöttliche Nachfahrin von Yurahanna verehren, der ersten Matriarchin, die als Tochter von Nahib und einer Sterblichen galt – und als Stammmutter aller Zauberschmiede – doch es vereinfachte das alltägliche Leben,
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