Drachengasse 13, Band 01: Schrecken über Bondingor (German Edition)
noch der fast verblichene und vor Fehlern strotzende Schriftzug Lieferunk ann Prinz Eisenhorst ausmachen. Das war der Name eines Barbiergeschäfts im Handwerkerviertel.
Neben der Kiste stand eine Konstruktion, die wie ein alter Elfenlangbogen aussah, den jemand quer auf einem Gerüst befestigt hatte. Ein komplizierter Seilzug führte von der Bogensehne über etliche Rollen zu einer großen Kurbel. Damit mussten die Kobolde ihre Reitpfeile abfeuern, vermutete Hanissa. Doch wie es ihnen damit gelang, mehrere Kilometer Flugstrecke zu überwinden, konnte sie sich auch nicht erklären.
Der Kobold setzte sich in die Kiste, griff hinter sich und zog einen spitzen Spieß, wie ihn Fleischer verwenden mochten, aus dem Durcheinander. Damit fuchtelte er vor den dreien herum. „Weg! Weg, vergrummst nocheins! Bin kein Aufpasser, binnich nich . Unn erst recht nich fürn Menschnbalg.“
Ohne den Spieß aus den Augen zu lassen, erklärte Hanissa dem Kleinen höflich, warum sie seine Ruhe störten. „Könnt Ihr uns vielleicht etwas über den Nachtfresser sagen ?“ , fragte sie schließlich. „Euer Volk hat doch auf den Dächern die beste Sicht, Herr … “
Der Kobold wandte sich ab und spuckte in hohem Bogen in Gumps krumme Regenrinne. „Winst. Gremelaia Jereby Winst der Dritte binnich. Und jetz weg! Wüsste nich, warummich euch helfn sollt .“
Ein leises Klatschen ließ Hanissa herumfahren. Sando hatte sich gegen die Stirn geschlagen. „Natürlich … “ , murmelte er. Dann sah er seine neuen Freunde grinsend an und kroch zurück zur Dachkante. „Wartet kurz, ja ?“ , rief er dabei. „Ich möchte etwas ausprobieren .“
Zwei Minuten später war er zurück und hielt ein Tonschälchen in der Hand, das unangenehm nach verdorbener Milch roch. „Mein Onkel stellt das Zeug abends immer raus, weil die Kobolde es angeblich mögen. Mal sehen, ob das stimmt .“
„Onkl ?“ Winst reckte den Kopf und schnüffelte neugierig. „Der bärtiche Riese mittem leckeren Getrinks is dein Onkl ?“
„Ja “ , bestätigte Sando.
Mit einem Mal war Winst wie verwandelt. „Ach! Das ännert ja alles, ganzigalles sachich !“ , rief er überschwänglich, stand auf und streckte Sando die winzige Hand entgegen. „Dein Onkl issen Gutermann, issen Echterfreund. Und der Neffe vonnem Echterfreund is auchn Echterfreund .“ Voller Begeisterung schüttelte er den kleinen Finger des Hafenjungen. „Also unn eins sollman mir nich nachsagn, nämlich dassich keinem Echterfreund helfn würd, jawollja. So is Winst nämlich nich .“ Der Kobold nickte so heftig, dass seine rotbraunen Zöpfe wippten.
„Das heißt, Ihr helft uns ?“ , hoffte Hanissa.
Winst kratzte sich am Kopf. „Helfn. Helfn is ziemlich viel gesagt. Ich hör mich mal um, das isses, was ich mach. Hmpf .“ Dann streckte er die Hände nach dem Milchschälchen aus, und als Sando es abstellte, tunkte er den ganzen Kopf hinein.
„Wann denn ?“ , fragte Tomrin.
Gurgelnd kam Winst wieder zum Vorschein. „Später “ , antwortete er. „Wenn Laffarett zurück is. Ich meld mich .“
Hanissa wollte gerade fragen, ob das der Kobold auf dem Rücken des Reitpfeils gewesen sei, als aus der Gasse eine wütende Zwergenstimme nach oben drang: „Sando? Junge, was in aller Welt macht ihr Wahnsinnigen denn auf dem Dach? Ich schufte mir hier den Beutel krumm, um die Gaststätte auf Vordermann zu bringen, und mein Herr Neffe bricht sich lieber den Hals, anstatt mir zu helfen, ja ?“
„Beutel statt Buckel ?“ , murmelte Tomrin. „Das kann nur dein Onkel Gump sein .“
Sando stöhnte. „Verflixt, ich hatte vergessen, dass heute Putztag in der brandung ist. Das bedeutet stundenlanges Schrubben .“
„Wir kommen mit “ , rief Tomrin kurzerhand. „Wir helfen dir, Sando. Zu dritt sind wir schneller fertig. Richtig, Nissa ?“
Sie lächelte. „Richtig. Und vielleicht ist Herr Winst bis dahin ebenfalls schlauer. Ich bin sicher, wir finden noch mehr von diesem, ähem, leckeren Getrinks, um ihn für seine Mühen zu entlohnen .“
Wie sie gehofft hatte, war der Kobold einverstanden. „Sicher, sicher. Geht nur unn macht. Find euch schon, jawollja .“
Die drei grinsten sich an. Sie stiegen vom Dach hinunter und durften sich als Erstes eine Moralpredigt von Sandos Onkel anhören. Der alte Zwerg war natürlich gar nicht begeistert darüber, dass die drei auf den Dächern des Hafenviertels herumkletterten. Seine Laune besserte sich allerdings, als sie versprachen, ihm beim Großputz der
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