Drachengasse 13, Band 04
lugte der Jungdrache eine Viertelschnauze weit aus seinem Versteck hervor, doch als plötzlich Hanissas nackte Füße über die Kante schwangen, zuckte er zurück.
Fleck zögerte. Irgendetwas an Hanissa war heute anders – so anders, dass er sich bremste, ihr wie jeden Morgen die Füße zu lecken. Sein simples Drachenhirn konnte nicht genauer erfassen, was es war …
Das Mädchen stand auf. Sie trug nur ein dünnes Nachthemd, und ihr ohnehin wildes Haar stand nach allen Richtungen ab. Dass Fleck wach war, schien sie nicht bemerkt zu haben, denn sie öffnete die Tür ihres Zimmers und trat durch die Wohnstube auf Corindas Kammer zu, ohne sich nach ihm umzusehen. Dort angekommen, horchte sie kurz auf die tiefen Atemzüge ihrer Mutter. Dann wandte sie sich sichtlich zufrieden ab und schlich lautlos zur Wohnungstür.
Ein nächtlicher Ausflug? Fleck hob hoffnungsvoll den Kopf. Es kam nicht oft vor, dass Hanissa sich heimlich und um diese Zeit aus der Wohnung stahl – aber wenn, dann folgten meist die tollsten Abenteuer.
Dennochhielterinne,stattihrzufolgen.Etwasstimmtehiernicht.Sierochauchnichtmehrwiesonst.Apfel,SeifeundKräutersud – daswarderüblicheHanissa-Duft.FleckhätteihnunterTausendenerkannt,undauchdieGerücheseineranderenFreunde – Pferdeschweiß,LederundMetallfürTomrin,Hafen,FleetundungewascheneOhrenfürSando – warenihmwohlvertraut.ÜberhaupthattenMenschensehreigene,unverwechselbareDuftnoten.
Doch Hanissa roch seltsamerweise nach überhaupt nichts mehr, seit sie aus diesem muffigen Keller zurückgekommen war. Vermutlich raubte Fleck genau das den Schlaf – seine Menschenfreundin hatte sich verändert, und er verstand den Grund dafür nicht.
Vorsichtig öffnete Hanissa die Tür zum Korridor und schlich hinaus. Fleck schnupperte einmal mehr nach ihrem vertrauten Duft, fand ihn nicht, und vor lauter Ratlosigkeit ging er ihr einfach hinterher.
Das Gelände der Magischen Universität war ein Ort voller kleiner Wunder. Weil die graubärtigen Magister hier nach Herzenslust forschen und wirken durften, stieß man in jedem Raum und jeder Ecke auf neue Überraschungen. Bunte Explosionswölkchen, die von misslungenen Experimenten herrührten, wild herumspukende Geister, Fenster, die nicht länger auf den Hof, sondern auf die eisigen Nordhöhen von Brrr hinausgingen – es gab fast nichts, was es hinter den Mauern, die das Universitätsgelände umgaben, nicht schon einmal gegeben hätte. Und mochte es noch so ungewöhnlich sein.
Der Botanische Garten bildete da keine Ausnahme. Er lag im Osten des Universitätsgeländes und war ebenso groß wie faszinierend. Tagsüber eilten Dutzende Zauberschüler zwischen seinen Beeten und auf seinen Wegen umher, gossen hier und harkten da. Oder sie stritten sich am Ufer des kleinen Teichs mit den Fürchterlich Verzogenen Fröschen, einer Sippe von Amphibien, die seit einem schiefgelaufenen Zauberritual sprechen konnte und sich darüber hinaus für verzauberte Königskinder hielt und entsprechend behandelt werden wollte.
Neben den Schülern konnte man hier auch dickbäuchige Magister antreffen, die im Schatten der hohen Bäume saßen und friedlich unter den Krempen ihrer Spitzhüte vor sich hin schnarchten. Andere spazierten gemütlich die Wege entlang und freuten sich der Pflanzenpracht – oder fielen ihr zum Opfer. So musste regelmäßig irgendein Graubart aus den Ästen der Gehässigen Klammerhecke – einem ebenso sturen wie lästigen Gewächs im südlichenGartenbereich – befreit werden. Andere begingen den Fehler, den Säuselpalmen von Schwetz zu lauschen, deren Blätter ein Geräusch erzeugten, das an verschwörerisches Geflüster erinnerte. Darüber vergaßen die Magier dann völlig die Zeit und erschienen zu spät zum Unterricht.
Nachts hingegen lag auch der Botanische Garten still und verlassen da. Nichts regte sich hinter den tuchbespannten Wänden der großen Gewächshäuser. Die Blumen rechts und links der schmalen Kiespfade hatten ihre Köpfchen gesenkt, die Grünzeuggnomiden schliefen friedlich in ihren winzigen Pilzhäusern, und auch die Zauberer, die den Garten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang betreuten, lagen in ihren Betten und träumten von Heuschnupfen und Erntezeit.
Alle bis auf einen.
„Na, na, na. Nicht so hastig, junge Dame.“ Winhelm Pappadocis Kleiblatt sah die fleischfressende Pflanze, die er gerade fütterte, tadelnd an. Das flackernde Kerzenlicht seiner Laterne spiegelte sich im Glas seiner Nickelbrille. „Schling nicht so. Das
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