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Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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in die Hand. Nach einer Pause sagte er: »Ich hab in den Sechzigern noch nicht gelebt, und ich war auch noch nie in San Fra n cisco, aber du hörst dich an, als wärst du fünfzig Ja h re zu spät auf die Welt gekommen.«
    »Mann, Steve!« Michael sprang auf, stand im Schlafanzug im Bett und gab der Bettdecke einen so heftigen Tritt, dass sie bis zu seinem Bruder flog. »Denkst du denn, ich weiß nicht, wie total schwac h sinnig sich das anhört? Ich hätte es wissen müssen! Warum hab ich es bloß so einem dickschädeligen Pferdekopf erzählt, der nichts kapiert? Aber ich weiß, wie ich dich überzeugen kann. Was haben wir uns mal versprochen? Worauf haben wir mal einen Eid gelei s tet?«
    »Nein.« Stephen sah auf, er war blass. »Das tust du nicht. Nicht wegen so einem Scheiß.«
    »Vielleicht bist du dann eher bereit, mir zu gla u ben. Ich schwöre … «
    »Wage das bloß nicht!«
    Aber Michael zischte bereits die Worte durch se i ne aufeinandergepressten Zähne. »Ich schwöre. Bei dem Grab unserer Eltern schwöre ich, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«
    »Du mieses kleines Dreckstück!« Stephen stürzte sich auf seinen Bruder.
    Michael sprang vom Bett und zeigte mit dem Ze i gefinger wie mit einem Dolch auf Stephens Gesicht.
    »Jetzt weißt du, wie ernst es mir ist!«, brüllte er.
    »Mein Gott.« Stephen ließ die Hände sinken. »Wenn du gelogen hast … «
    »Du weißt, dass ich nicht gelogen habe. Und wenn du sehen willst, wo es passiert ist, dann bring ich dich dorthin.«

 
    10
     
    Es wurde zwölf Uhr, bis man die Archäologin Mrs Troughton von dem Diebstahl überzeugt hatte. Trotz Toms beharrlichen Hinweisen, dass die Schänder des Kirchhofs genau dort weitergegraben hatten, wo man den fehlenden Kreuzbalken vermutete, wollte sie sich unbedingt selber davon überzeugen. Deshalb war Mr Purdew herbeizitiert worden, dessen Zigarette mehr denn je traurig herunterhing, und die Erde rund um die Eibenwurzeln war in alle Richtungen zwanzig Zentimeter tief abgetragen worden. Man fand nichts, und auf Wunsch des Kirchenvorstands wurden die Wurzeln wieder mit Erde bedeckt. Dann wurde Tom eine unangenehme halbe Stunde lang zwischen dem Wachtmeister und der Archäologin hin und her g e zerrt und sie diskutierten das Verbrechen aus allen Blickwinkeln.
    Mrs Troughton war fuchsteufelswild und wandte sich vehement gegen Toms Bemerkung, dass dieser Diebstahl unerklärbar wäre.
    »Sie sind sich doch darüber im Klaren«, sagte sie und funkelte ihn durch ihre Brillengläser an, »dass dieses Kreuz völlig einzigartig ist. Es stammt offe n sichtlich aus der Zeit des ganz frühen Christentums und könnte eine bislang völlig unbekannte Verbi n dung zwischen Sachsen- und Keltenkunst beweisen. Wer weiß schon, Herr Pfarrer – vielleicht steht Ihre Kirche auf einer wahrhaft antiken Stätte! Der Die b stahl auch nur von einem Bruchteil des Kreuzes wäre eine absolute Tragödie, weil wir dann womöglich die Symbole der Ornamente nicht entschlüsseln kö n nen!«
    »Es gibt keinen sicheren Beweis dafür, dass sich das fehlende Stück überhaupt jemals dort befunden hat«, widersprach Tom. »Aber selbst wenn, so wurde der größte Teil des Kreuzes nicht b erührt und repr ä sentiert immer noch einen Artefakt frühesten Chr i stentums. Ich begreife bloß nicht, weshalb jemand den fehlenden Querbalken stehlen wollte. Warum haben sie dann nicht alles mitg e nommen?«
    »Weil es zu schwer war«, sagte Wachtmeister Vernon und schrieb das in sein Notizbuch.
    »Offensichtlich«, sagte Mrs Troughton.
    »Aber warum macht sich jemand die Mühe und wühlt mitten in der Nacht in der Erde, um ein Stück Stein zu stehlen, wenn sie das restliche Kreuz sowi e so nicht wegtragen können?«
    »Vielleicht wollen sie Lösegeld erpressen«, sagte Wachtmeister Vernon.
    Tom fiel darauf keine passende Antwort ein, o b wohl das eigentlich gar kein so dummer Gedanke war – jedenfalls klüger als irgendeine seiner eigenen wirren Vermutungen. In seinem Kopf wirbelte es vor lauter chaotischen Widersprüchen. Selbst wenn das mit dem Lösegeld weit hergeholt war, gab es doch sonst für den Diebstahl keine andere Erklärung als schlichte Bösartigkeit. Aber die wäre bestimmt mit Vandalismus einhergegangen und das restliche Kreuz war ja nicht angerührt worden. Und was b e deutete die verbrannte Erde im Graben? Man brauc h te schließlich keinen Schneidbrenner, um in der Erde zu wühlen.
    Tom gab auf. Das ergab alles keinen Sinn.
    Als Mrs Troughton endlich

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