Drachenglut
drehte sich zu Michael um. Er schien noch ziemlich jung, vielleicht Mitte Zwanzig, und seine Miene war stumpf, verdrossen und etwas einfältig. Er kam M i chael irgendwie bekannt vor, wahrscheinlich war er ihm schon mal im Dorf begegnet.
Sie starrten sich an.
»Diesmal rennst du also nicht weg«, sagte Paul Comfrey leise. »Ich hab dich bei seinem Haus fast erwischt. Du warst schnell.«
Michael kniff die Augen leicht zusammen und sagte: »Nein, diesmal renne ich nicht weg.«
Und im Stillen dachte er: Ich glaub gern, dass er die dritte Gabe nie bekommen hat. Der ist für mich keine Konkurrenz.
Dann fiel ihm wieder ein, dass Mr Cleever die vierte Gabe besaß, und er warf ihm von der Seite e i nen schuldbewussten Blick zu. Aber Mr Cleever ha t te wohl nichts bemerkt.
»Hattest du irgendwelche Probleme, Paul?«, fragte er.
»Ja. Sie kam her, wie Sie gesagt haben.« Paul Comfrey trat unbehaglich von einem Fuß auf den a n dern, aber er gab keine zusätzlichen Erklärungen ab.
»Wie weit ist sie gekommen? Du kannst vor M i chael frei sprechen.«
»Sie kam bis nach oben.« Der Mann war offe n sichtlich nicht bereit, Einzelheiten zu berichten.
»So weit? Herrje, da warst du aber nachlässig, Paul. Hast du geschlafen?«
»Nein.«
»Hm. Was hat sie gesehen?«
»Sie hat den Stein gesehen. Und ich glaube, sie hat vielleicht auch Mr Hardraker gesehen.«
»Sie ist bis zu Joseph gekommen? Du lieber Himmel, Paul, das hat ihr aber bestimmt einen geh ö rigen Schrecken eingejagt. Ich kann nur hoffen, dass du wach genug warst, um sie zu erwischen. Na?«
»Ja. Ich musste sie halb über den verdammten Hof verfolgen. Aber jetzt ist sie in sicherem Gewah r sam …«
»Wo?«
»Im Klavierzimmer. Ihr Auto hab ich in den hint e ren Schuppen gestellt.«
»Über wen redet ihr?«, fragte Michael, der lang genug gerätselt hatte. Stechende Schmerzen peini g ten seine Augen, und er fragte sich, ob er damit auf die Spannung zwischen den beiden reagierte.
»Wenn du dich nicht wohl fühlst, Michael, g e brauch den BLICK«, sagte Mr Cleever. »Das tut dir gut, weil es deine Kraft trainiert. Nun zu deiner Fr a ge: Wir hatten eine Besucherin«, fuhr er fort, und seine tintenschwarze Drachenseele schwebte schwer durch den Flur. »Und vielleicht bist du ein bisschen überrascht, wenn du hörst, wer es ist. Aber ich will es dir nicht verheimlichen, weil du schlau bist und es ohnehin bald herausfinden würdest. Deine Schwester Sarah hat uns einen Besuch abstatten wollen. Ich fürchte, sie hat ihre Nase in unsere Angelegenheiten gesteckt und Dinge gesehen, die nicht für sie b e stimmt waren. Wir müssen sie eine Zeit lang hier b e halten.«
Das ging zu schnell, auch für Michael.
»Was meinen Sie damit? Sie können sie doch nicht einsperren. Lassen Sie sie frei.« In seinen A u gen flammte Wut auf.
»Sei nicht so schwach, Michael. Vergiss nicht, dass Sarah dich seit Jahren zu kontrollieren versucht. Meinst du etwa, sie lässt dich die Gaben so nutzen, wie du möchtest? Sie würde alles in ihrer Macht St e hende tun, um dich daran zu hindern.«
»Das soll sie erst mal versuchen. Aber das ist nicht …«
»Ganz recht. Du hast sie hinter dir gelassen. Hör mal zu. Es gibt vieles, was ich dir bald erzählen muss. Wenn du danach deine Schwester immer noch frei lassen willst, kannst du das tun. Ich werde dich nicht daran hindern. So oder so wird ihr kein Leid geschehen. Und bald bist du zu mächtig, als dass sie dich noch kontrollieren könnte. Was meinst du?«
»Ich weiß nicht recht … « Michael fand sich wir k lich schwach. »Okay, ich werde mir erst mal anh ö ren, was Sie zu sagen haben.«
»Gut. Wir besonderen Menschen müssen sehr vo r sichtig sein. Neugierige Störenfriede wie der Pfarrer und deine Schwester sind uns ständig auf den Fersen. Und ich fürchte, auch dein Bruder steckt mit ihnen unter einer Decke.«
»Stephen? Aber der hat doch selber die Kraft! O der wenigstens ein bisschen«, verbesserte sich M i chael. »Er ist nämlich nicht lange unten geblieben.«
Die Oberfläche der Drachenseele brodelte düster.
»Ich werde noch alle Einzelheiten erfahren mü s sen, wie Stephen seine Kraft bekommen hat. Das war ein ganz übler Fehler. Leider will dein Bruder die Gabe nicht annehmen. Er hat Angst und ängstliche Jungen machen dumme Sachen.«
»Ja. Er hat mich eingesperrt.«
»Eifersucht ist etwas Schreckliches.«
»Wir müssen es schnell erledigen, George«, mischte sich jetzt Paul Comfrey ein, und Michael sah
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