Drachenglut
bis ich kam und es rausholte? Ja, es war mein Fehler! Oh, mein Gott!«
Stephen schwieg. Alle werden befreit werden, ha t te Michael gesagt, und bei diesen Worten hatte sich der Drache in seiner Seele gezeigt. Stephens Augen schmerzten, eine fieberhafte Freude schien in ihm aufzusteigen. Er sehnte sich danach, frei zu sein, hoch oben über den Wald zu fliegen …
»Was sollen wir tun?«, flüsterte Tom.
Stephen zwinkerte. »Ah … « Er suchte krampfhaft nach einer konstruktiven Idee. »Was stand in den Büchern, die du gelesen hast, über diesen Wyn … – wie hieß der noch mal?«
»Wyniddyn.«
»Wyniddyn. Du hast gesagt, ein Gedicht handelt von seinem Kampf mit dem Drachen. Was stand da drin?«
»Ach, das war nur ein Fragment. Ich weiß es nicht mehr. Eben typisch walisisch, total rätselhaft.«
»Du musst doch noch irgendwas davon wissen, i r gendeine Kleinigkeit.«
»Stephen, ich hab es bloß ein Mal gelesen.«
»Dann gib dir verdammt noch mal Mühe!« St e phen trat gegen den Stamm und verstauchte sich die Zehen. Fluchend rieb er sich den Fuß.
Tom schien sich dafür zu interessieren, er sah kurz auf den Fuß, dann in die Höhe. »Eine Sache fällt mir ein … «
»Und was?« Stephen war nicht nach Höflichkeit zumute.
»Eichen. Das stand da drin. Und was von einem Stein.«
»Was für Eichen? Was für ein Stein? Da stand doch bestimmt noch was dabei.«
»Nein, ich schwör’s dir. Was stand da? Eiche … Stein … Feuer … ich weiß nicht mehr. Nein, warte mal! Da kam auch Eisen vor!«
»Was für Eisen? Schwerter? Speere?«
»Ja! Speere! Willis glaubte, dass Wyniddyn den Drachen durch einen Speer aus Eichenholz und Eisen besiegt hat. Und auf dem Stein sind auch Speere a b gebildet.«
Stephen ging um den Baum herum und sah zu den Ästen hoch. »Speere … Hm. Ich denke mal, wir könnten uns einen machen.«
Tom stand auf und trat zu ihm. »Einen Speer m a chen? Was soll das denn nützen? Wir kämpfen gegen Feuer, verdammt noch mal!«
Stephen drehte sich zu ihm um. »Hör mal zu. Uns bleibt wenig Zeit. Noch heute Nacht oder irgen d wann während des Tages wird Cleever etwas vers u chen, das möglicherweise klappt oder auch nicht. Falls nicht, haben wir nichts verloren. Falls es aber klappt und der Drache kommt, dann haben weder du noch ich oder sonst irgendwer auf der großen weiten Welt auch nur die leiseste Ahnung, was man dagegen tun kann. Das Gedicht gibt uns einen schwachen Hinweis. Wir wissen, dass darin ein Stein erwähnt wird: Wer sagt denn, dass das nicht das Kreuz ist? Das gibt es doch wirklich. Dann ist von Feuer die Rede: Davon haben wir ja reichlich zu sehen b e kommen. Okay. Eisen und Eiche ergeben nicht so viel Sinn, aber dieser Hinweis ist alles, was wir h a ben. Wir müssen auch die allerkleinste Chance nu t zen.«
Tom nickte. »Na gut. Das hier ist eine Eiche. Nun brauchen wir nur noch einen Speer.«
»Ich hab ein Taschenmesser«, sagte Stephen.
35
Endlich war es Tag geworden, dünne Sonnenstra h len drangen durch die Spalten der mit Brettern zugen a gelten Fenster und schufen ein geisterhaftes Dä m merlicht in dem dunklen Raum. Hier und da im Zimmer konnte man helle, höckerige Formen erke n nen, plump und geheimnisvoll, unter staubigen L a ken verborgen. Ein Flügel, grau von Putzgeriesel, stand in der Mitte des Zimmers, und unter ihm ertö n te bald nach Beginn der Morgendämmerung meh r mals hintereinander ein heftiges Niesen.
Sarah war es übel ergangen. Ein nervöser, schwe i gender Mann hatte sie gestern Nachmittag in dieses Zimmer gebracht, ungerührt von ihren empörten Ausrufen, und seither hatte sie dort bleiben müssen, umgeben von Unmengen von Allergien auslösendem Staub. Einmal machte sie den Fehler und hob das Tuch an, das über ein Sofa gebreitet war, und die aufsteigenden Staubwolken hatten sie eine Stunde lang heulen lassen. Danach vermied sie es, überhaupt noch irgendetwas zu berühren.
Ihre Rufe und Schreie hatten keine Reaktion b e wirkt. Als sie mit den Fäusten gegen die mächtige Tür getrommelt hatte, klang das leise und gedämpft. Durch die Spalten zwischen den Brettern vor den Fenstern hatte sie den von Unterholz bewachsenen Hügel hinter dem Hof gesehen, aber ihre Bemühu n gen, die Bretter zu entfernen, hatten ihr nur blutende Fingernägel eingebracht.
Deshalb hatte sie sich unter dem Flügel auf den Teppich gelegt und sich ihrer Verzweiflung überla s sen.
Während der Abendstunden, als das Dämmerlicht schwächer wurde,
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