Drachenglut
unserem schlic h ten Wachtmeister Vernon denn schon groß erzählen? Sie wussten gar nicht, was sie sagen sollten. Nein, ihr Wissen trennt sie von den andern, und sie werden versuchen, allein damit fertig zu werden. Da unten auf dem Feld habe ich ihre Wut gespürt. Ich sah ihre Seelen, hart und unnachgiebig und nur mit einem einzigen Ziel. Wir haben etwas, das ihnen gehört, und das macht sie gefährlich.«
Er sah Michael an, der über ihm schwebte und z u rück zum Feuer schaute.
»Aber für sie läuft die Zeit ab«, sagte Mr Cleever laut, »denn wir werden den Drachen befreien. Und wir haben unsere Trümpfe und werden, falls nötig, nicht zögern, sie einzusetzen.«
Er ließ sich zur Erde gleiten.
In der Ferne hörte man Rufe und irgendwo jenseits der brennenden Felder ertönten Sirenen.
Vierter Tag
33
Der Russet war in der Abenddämmerung tinte n schwarz. Die endlosen Baumreihen waren in Scha t tierungen von Blauschwarz bis Rabenschwarz g e taucht und die scharfe Kühle der Sommernacht lag auf Laub und Stämmen.
Tom und Stephen saßen an den rauen Stamm einer Rieseneiche gelehnt und litten schon seit einigen Stunden unter dieser Kühle. Auch nachdem sie die Schokolade und die Brote aus Stephens Rucksack gegessen hatten, war ihnen kaum wärmer geworden.
Tom schlief, den Kopf an die Eiche gelehnt.
Stephen hatte nur ganz unruhig geschlafen und war schon wach. Er sah nach Osten, wo hinter den ganz weit entfernten Bäumen ein blassgelber Streifen am Horizont auftauchte.
Mr Cleever hatte mit seiner Voraussage recht g e habt, dass die Flüchtlinge sich verstecken und keine Hilfe von außen holen würden. Der begonnene Kampf erforderte alle ihre Kräfte, und was sonst noch in der Welt geschah, erschien ihnen völlig b e deutungslos. Den elementaren Mächten, die Stephen und Tom vernichten wollten, konnte man nicht mit den üblichen Mitteln wie Polizei oder Ämtern, Är z ten oder Journalisten begegnen. Stephen und Tom brauchten eine sichere Zuflucht, und die bot ihnen der Wald – so einfach war das. Sie waren am Bach entlang in den Russet gelaufen und hatten sich im Unterholz versteckt.
Die halbe Nacht hatte das Feuer gewütet und ha t ten Sirenen gejault. Bis etwa drei Uhr glühte der Himmel feuerrot, und die Luft war erfüllt gewesen von dem heiseren Gebrüll und Geschrei der e r schöpften Bauern und Dörfler. Die Wege rund um den Russet waren so belebt wie noch nie durch A u tos, Menschen und Löschfahrzeuge.
Drei Felder waren zerstört, zwei andere hatten Schaden genommen. Vom Unterholz aus wurden Tom und Stephen Zeugen des traurigen Kampfes, während sie zugleich nach Anzeichen Ausschau hie l ten, ob der Feind sie noch verfolgte. Einmal hatten sie ein Auto vorbeirasen sehen, von dem Tom schwor, es wäre Mr Cleevers, aber sie hatten den Fahrer nicht eindeutig erkennen können.
Nach dem Erlöschen des Feuers war die Nacht wieder still geworden; sie hatten sich tiefer in den dichten Wald zurückgezogen und lagerten seither an dem Baum.
Doch nun war Stephen wach, er bibberte vor Kälte und lehnte steif wie eine Leiche am Stamm. Etwas hatte ihn aus dem Tiefschlaf geschreckt.
Aber was?
Rundherum schlief der Wald, kalt und tief. Noch waren die ersten Vögel nicht erwacht.
Stephen zog vor Anstrengung eine Grimasse, stand auf und streckte seine taub gewordenen Gli e der. Er blickte sich nach allen Seiten um und spähte scharf in die Dämmerung. Nichts außer seinem Her z schlag.
Er lief ein paar Schritte, und als die Blutzirkulat i on in Gang kam, schmerzten seine Verbrennungen wieder. Seine Schritte knirschten auf der Erde. Dann sah er zu dem schlafenden Tom hinüber, ein blasser Fleck vor dem dunklen Baum. Er drehte sich um und stapfte durch das Unterholz.
Der gelbe Streifen im Osten legte sich breiter und höher über den Horizont. Mehr und mehr Einzelhe i ten im Wald ließen sich undeutlich erkennen, uralte Bäume krümmten sich im blaugrauen Zwielicht zu bizarren Formen.
Er ging langsam, bedächtig, und streifte an dicht belaubten Zweigen entlang. Dann kam er auf eine kleine Lichtung, wo Efeu d en Boden bedeckte und ein riesiger umgestürzter Baum schräg vor ihm lag. Seine kahle Krone verlor sich im Laub der umst e henden Bäume, die Wurzeln ragten wie gefrorene Schlangenleiber in die Luft. Stephen blieb stehen. Hoch über ihm auf einem Ast des Baums saß Mich a el, still und wachsam wie eine Eule.
»Warum kommst du nicht runter?«, rief Stephen. Seine Stimme klang hier im Wald
Weitere Kostenlose Bücher