Drachenkaiser
überzogenen Matratzen in den Teil des Gewölbes, wo die Karten an den Wänden aufgehängt waren. Die neuen Grenzen seiner Länder und zukünftigen Besitztümer hatte er bereits eingezeichnet, wenn auch nur mit Kreide, die er abwischen konnte. Zwar war er zuversichtlich, was den Sieg über Ddraig anging, aber wenn Nie-Lung patzte, hätte er sich die Karte ruiniert. Sie stammte aus dem 18. Jahrhundert, und er mochte sie sehr.
Vouivre betrachtete die Ländergrenzen.
Langweilig wurde es in Europa mit dem Ende von Fafnir und Grendelson für ihn nicht. Abgesehen von der Auseinandersetzung mit der walisischen Drachin und der sich andeutenden Gefahr aus China war ihm noch etwas zu Ohren gekommen, das ihm nicht gefiel.
Sein rubinrotes Stirnauge richtete den Blick auf das Zarenreich. Überall Aufstände. Nicht gut. Romanow kann die Lage ohne die Unterstützung eines Altvorderen nicht mehr kontrollieren. Das bringt zu viel Unruhe ins Gefüge.
Mit der linken Klaue nahm er die Kurznachricht auf, die ihm ein russischer Spion gesandt hatte.
Zadornova, oder besser gesagt die einstige Großmeisterin Silena, hatte sich nach Hamburg begeben, ihr Luftschiff schwebte deutlich sichtbar am Flughafen. Sie sucht etwas, sonst wäre sie längst schon nach Bilston zurückgekehrt. Angeblich war ihr Mann tot, sie hatte ihn identifiziert. Zu Hamburg gab es in ihrem Lebenslauf und bei den aktuellen Ereignissen keinerlei Verbindung. Was sie dort wollte, würden ihm seine Spitzel bald sagen.
Eine heruntergekommene Drachenheilige bereitete ihm jedoch weniger Sorgen als die Neuigkeiten über den Zaren.
Der Mann war in den letzten zwölf Monaten öfter alleine unterwegs, was in diesen unruhigen Zeiten auffällig war; der Ort Festov, nicht weit von Kiew gelegen, wurde mehrfach erwähnt.
Und bei Kiew liegt der Triglav. Vouivre war unzufrieden. Romanows Ausflüge konnten harmloser Zerstreuung dienen, oder er hatte sich über den Zustand des Berges erkundigt – aber musste ein Zar deswegen mehrmals in einem Jahr dorthin reisen? Außerdem mochte der Herrscher Sankt Petersburg zu gerne, um es so oft zu verlassen.
Von Natur aus misstrauisch und immer auf der Hut vor möglichen neuen Konkurrenten um die Macht in Europa, hatte Vouivre alle Sagen, Legenden und Märchen Russlands nach Drachen durchsuchen und herausschreiben lassen: Orte, Art der Drachen, alles war fein säuberlich aufgelistet. Er wollte wissen, wo mögliche starke Feinde lauerten.
Triglav und Kiew. Vouivre hatte das Märchen von einem Helden entdeckt, der in dieser Stadt geboren war und sich mit dem Drachen Tugarin anlegte, um ihm das von den Menschen gestohlene Gold zu entreißen. Gerade wenn es um Geschuppte ging, trugen Erzählungen meist einen wahren Kern. Er wusste das selbst zu gut.
Vouivre dachte nach. Tugarin. Nur kurz von ihm gehört.
Das konnte daran liegen, dass Gorynytsch und sein Vorgänger selten über Nebenbuhler im eigenen Einflussbereich berichtet hatten, um den westlichen Altvorderen keine Verbündeten aufzuzeigen. Oder Tugarin besaß genug Schläue, sich so lange bedeckt zu halten, bis er stark genug geworden war.
Er blätterte weiter und fand viele weitere Namen: Zmey Tugarin, Zmey Tugaretin, Zmeishche Tugarishche und andere, die so ähnlich klingen. Die Namenszusätze bedeuteten nichts anderes als Drache. Es gab über Tugarin ebenso viele Geschichten und Bücher wie über den toten Gorynytsch. Seinem Verhalten und der Vorliebe für Gold nach handelte es sich um einen Hortdrachen mit großen Ambitionen.
Was bedeutet, dass er gewisse Macht besitzt. Der Zar konnte einen so starken Verbündeten brauchen, um die Aufständischen zu besiegen. Vouivre wusste, dass Nikolaus der Zweite unter stärker werdendem Verfolgungswahn litt und in seiner Furcht und unter dem zunehmenden Druck zu allem fähig wurde. Er würde einen Drachen sicherlich gegen seine Feinde hetzen, um sie zu vernichten.
Aber genau das stellte eine große Gefahr für die heimliche Herrschaft der Altvorderen in Europa dar.
Es war eine Sache, wenn kleine Fressdrachen die Menschen ärgerten. Es war eine andere, wenn sich die großen Drachen offen zeigten und sich als Mitsouverän präsentierten. Ein Aufschrei der Massen wäre in ganz Europa zu hören, Regierungen wären gezwungen zu handeln.
Dabei waren die vielen unangenehmen Fragen, die nach der Schlacht am Triglav aufgetaucht waren, eben erst verstummt. Das Officium und der Zar hatten dafür gesorgt, dass der Vorfall zu einer Massenattacke von
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