Drachenkaiser
kleineren Drachen heruntergespielt wurde. Die wahren Ausmaße der Beinahekatastrophe blieben im Verborgenen.
Es wäre mehr als schlecht, wenn nun ein großer Drache an der Seite eines europäischen Regenten auftauchen würde. Die Menschen würden sich zu viele Gedanken machen und nachforschen. Was sichtbar wird, ist angreifbar. Vouivre starrte auf den Punkt der Karte, der Kiew darstellte.
In ihm reifte der Entschluss, die Allianz zwischen Romanow und Tugarin präventiv zu vereiteln, auch wenn die russischen Aufständischen die Oberhand gewannen. Ich kann leicht einen neuen Zaren auf den Thron hieven, wenn es so weit ist. Aber einen großen Drachen möchte ich nicht auf dem Foto neben dem Herrscher sehen!
Er wandte sich um und schrieb neue Befehle an seine Augen und Ohren im Zarenreich, die Kiew und vor allem Festov genau prüfen sollten. Gäbe es nur einen Hauch von Drachenspuren, müsste er Tugarin eine Einheit Drachenjäger auf den Hals hetzen.
Halbwegs zufrieden kümmerte sich Vouivre danach um die neuen Nachrichten, die aufgelaufen waren. Er sichtete sie schnell und sorgfältig.
Es hatte einen Vorfall mit dem chinesischen Zirkus in Hamburg gegeben. Der widerrechtlich eingeführte Drache war entflohen, nachdem er alles abgefackelt hatte.
Meinen Respekt, Nie-Lung. So verwischt man Spuren, mein Bester. Vouivre nahm sich eine Trüffel. Ihr Chinesen gebt nicht viel auf Zurückhaltung, selbst bei geheimen Missionen.
Schnell verglich er noch die Wirtschaftsdaten und Börsenkurse. Es lief nicht eben optimal, wie er fand. Die Werte des Deutschen Kaiserreichs schwankten nach oben und unten. Das gilt es, im Auge zu behalten.
Zwei Seiten weiter musste er schon wieder Kiew und Triglav lesen.
Was hat es mit diesem verdammten Berg auf sich, dass sich alle Welt da herumtreibt!? Der Drache las, dass ein Medium aus York, eine Lady Ealwhina Snickelway, unter falschem Namen dort aufgetaucht sei und von der Armee des Zaren gejagt werde, seitdem sie das Trümmerfeld verlassen hatte.
Vouivre dachte sofort an den Weltenstein. Sie möchte in die Fußstapfen von Sätra treten: magische Macht! Aktuellsten Berichten zufolge sei sie in York gesichtet worden.
Mylady muss befragt werden. Sollte sie wirklich das Artefakt in die Finger bekommen haben, benötige ich es! Nur ein Altvorderer konnte mit dieser Macht umgehen. Sterblichen bekommt so etwas nicht. Sie stellen Unsinn damit an. So war es doch schon immer mit den Artefakten, vom Gral bis zu Excalibur.
York lag leider mitten auf der Britischen Insel und gehörte somit zu Ddraigs Kernland. Sie hat gewiss ebenso davon erfahren. Meine Leute müssen noch heute aufbrechen. Jede Sekunde ist kostbar.
Vouivre schrieb weitere Befehle und sah danach ungehalten auf den kleinen Stapel Nachrichten, die er noch nicht gelesen hatte. Es reicht mir für heute, versuchte er sich selbst zu überreden – und griff dennoch nach dem nächsten Blatt.
Wer Macht besitzt und halten will, muss sie ausüben. Sonst wird sie zur Ohnmacht.
5. Januar 1927, Freie Hansestadt Hamburg, Deutsches Kaiserreich
Mit einem leisen Klicken schnappte der Deckel der Taschenuhr auf und blitzte dabei wie ihre Silbermünze.
Silena wagte es nicht, nach dem Wappen der Drachenheiligen sowie dem Namen auf dessen Innenseite zu schauen. Sie verfolgte den Weg des Sekundenzeigers bei seinem eintönigen, ewig gleich bleibenden Kurs auf dem Zifferblatt. Wenn es kein Trick sein sollte, war einer der Drachenheiligen an der Absturzstelle. Bliebe die Frage nach dem Anlass.
Sie schluckte, bewegte die Augen nach links: ein Zweihandschwert, auf dem die Spitzen von vier Drachenzungen steckten … Brieuc! Sie sah genauer hin und musste jeden Zweifel ausschließen.
»Es ist leicht zu verstehen, dass Sie die Person kennen, welcher die Uhr gehört.« Nitokris stand vor ihr. »Hilft es Ihnen weiter?«
»Nein«, entgegnete Silena leise und trank wieder von dem Wasser. Ihr inneres Durcheinander hatte sich mit dem Fund noch weiter erhöht, Theorien blitzten auf und versanken in dem Gedankenbrei. Das kann niemals im Leben sein. Nicht Brieuc. Jemand will mich glauben machen, dass das Officium etwas mit der Sache zu tun hat. Eine List entweder von den Ägyptern oder von den Drachenfreunden. Oder von der Ochrana? Es gab nichts Greifbares, mit dem sie diese Erklärungsversuche füttern konnte.
Das Schlimmste jedoch war, dass sie die Suche nach Grigorij abschließen musste. Lieber hätte sie sich hundert Schießereien gegen tausend Feinde
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