Drachenkaiser
mehr und mehr den Eindruck, dass Nagib und sie um die Wahrheit herumtänzelten wie um eine Schlange. »Nach dem, was ich so hörte, sind Bänder mit Ichneumon-Symbolen neuerdings der
Exportschlager«, gab sie zurück. »Man findet sie sogar schon in Russland. In Oranienbaum.«
Er ließ sich nichts anmerken und trat näher. »Tapfere Katzenartige, diese Ichneumons. Ganz allein gegen eine übermächtige Feindin und doch schnell genug, sie zu vernichten.«
»Wie die Ritter und Nachfahren der Drachenheiligen. Auch sie zögern nicht und kämpfen.« Silena sah zur Tür. Wo bleibt sie? Sie legte den Sicherungshebel der Luger um. »Denken Sie, dass meine Freundin sich verlaufen hat?«
»Nein. Sie kommt gleich.« Er setzte sich an den kleinen Tisch. »Ihre fast zwei Dutzend bewaffneten Freunde aber nicht. Sie werden vor dem Haus warten müssen.« Nagib prostete ihr wieder zu. »Verzeihen Sie, dass wir Ihnen ein bisschen Theater vorgespielt haben, aber wir benötigten Zeit, um uns vorzubereiten. Das Haus ist eine Festung, müssen Sie wissen.«
Silena zog die Pistole und hielt sie locker am herabhängenden Arm. »Sie wissen, wer ich bin.«
»Nicht zu einhundert Prozent«, gab der Ägypter zu und schaute an ihr vorbei zum Eingang, von wo Geräusche erklangen. Ein Schüssel drehte sich im Schloss, dann kamen Fayence und Nitokris herein. Leida ging hinkend in ihrer Mitte. »Deswegen hätten wir gern von Ihnen die Wahrheit erfahren.«
»Für wen halten Sie mich, Herr Nagib?«
»Sie sind Fürstin Anastasia Zadornova. Eigentlich kannte man Sie früher als Großmeisterin Silena, und Sie gehörten dem Officium Draconis an.« Fayence näherte sich ihr und zog dabei den Arztkittel aus. »Eine derart berühmte Person kann nicht einfach unter einem anderen Namen in Europa weiterleben, Frau Zadornova. Das hätten Sie wissen müssen.«
Das habe ich schon einmal gehört. »Meinen Nachnamen bekam ich bei meiner Hochzeit mit Knjaz Grigorij Wadim Basilius Zadornov«, antwortete sie gelassen. Nicht einer der drei wirkte angespannt oder bedrohlich, und so blieb auch sie ruhig. Fast schien es, es träfen sich Bekannte. »Und genau diesen Mann suche ich.« Sie griff langsam in die andere Tasche, zog das Armband heraus und hielt es in die Luft. »Das hier habe ich an der Absturzstelle gefunden.« Sie warf es Nagib vor das Glas. »Meine Recherchen führten mich zu Ihnen.«
»Dann haben Sie vermutlich im Officium eingebrochen und sich unsere Akte durchgelesen?« Nagib lachte. »Kattlas Spione haben sich nicht viel Mühe gegeben. Diese Überheblichkeit wird die Einrichtung eines Tages untergehen lassen. Bedeutungslos ist sie beinahe schon.« Er nahm den Schmuck und warf ihn zu Fayence. »Da hast du es wieder.«
Silena schwankte zwischen Zuversicht und Ärger. Wo ist Grigorij? Ihre Selbstbeherrschung löste sich mehr und mehr auf. Ich will Antworten! »Sie waren in Oranienbaum!«
Fayence wischte das Armband mit dem Kittel ab, küsste jedes einzelne Segment und legte es mit Nitokris‘ Hilfe an. »Das war ich.«
Silena explodierte, eine Wutträne rann aus ihrem Auge. »Wohin haben Sie meinen Mann gebracht?«, rief sie. »Warum haben Sie ihn abgeschossen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich? Warum sollte ich?«
»Ihre … Organisation«, sagte sie zornig und zielte mit der Luger auf Nagib. »Antworten Sie mir! Was ist das für eine Gesellschaft? Wo ist Grigorij? Ich zähle von drei rückwärts: eins…«
Nagib starrte auf den Lauf, Fayence fixierte Silena.
»Zwei…« Silena zog den Hahn zurück. »Dr…«
»Halt!« Nitokris hob den Kopf wie eine Königin, die eine Verlautbarung zum Volk sprechen wollte. Die Fassade der einfachen Sekretärin bröckelte zusammen, ihre Züge erhielten eine unvermutete Erhabenheit. »Wir kämpfen für die gleiche Sache: die Vernichtung der Schlange. Ihr nennt sie Satan oder Drache, wir nennen sie Apophis und meinen doch beide Chaos und Zerstörung. Nur dass unsere Kultur diese Bestien Tausende Jahre früher gezielt jagte als ihr in Europa.« Sie zeigte mit einer tänzerisch-anmutigen Bewegung auf die Statuette. »Als Mitstreiter der Götter erwählte unser Bund das Ichneumon als Schutzwesen. Wie der Aufspürer die Giftschlangen stellt und tötet und die Menschen vor ihrem Biss beschützt, so halten wir es mit den Drachen.«
»Wir können das auch allein«, sagte Leida abwertend. »Geht zurück an den Nil.«
»Nein, das könnt ihr nicht. Nicht mehr, nachdem das Officium geschwächt wurde.« Fayence schob
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